»Energizing a Sustainable Industry« lautet das Motto der diesjährigen Hannover Messe. Die Themen Energie und Nachhaltigkeit sind auch ein umfassender Forschungsschwerpunkt des Fraunhofer IPA. Zu den Messe-Leitthemen führt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA zahlreiche Forschungs- und Transferprojekte durch. Gleich mehrere Abteilungen beschäftigen sich mit Energieeffizienz, Wasserstofftechnologie oder Batteriezellenproduktion. Auf zwei verschiedenen Messeständen stellen die Wissenschaftler:innen mehrerer Abteilungen von 22. bis 26. April 2024 ihre Ergebnisse vor und geben Einblicke in laufende Forschungsprojekte.
Alle eint die Frage, wie sich der Ressourceneinsatz in der Produktion effizienter gestalten und Verschwendung vermeiden lässt. Dazu gehört beispielsweise die Abteilung Industrielle Energiesysteme mit Lösungsansätzen für maßgeschneiderte Energiesysteme. Den Schwerpunkt bilden dabei die Optimierung der Energieeffizienz, die Reduzierung von CO2-Emissionen und die Maximierung der Versorgungssicherheit.
Die Solarzellen auf dem Dach und der Batteriespeicherauf dem Hof haben eines gemeinsam: Sie liefern beide Gleichstrom. Warum also nicht gleich die ganze Fabrik mit Gleichstrom betreiben? Das spart Energie und Ressourcen. So liegen die Einsparungen bei Infrastruktur, Logistiksystemen und Fertigungsrobotern zwischen acht und 20 Prozent. Die oft überdimensionierten Gleichrichter der einzelnen Maschinen entfallen und Bremsenergie kann in das Gleichstromnetz eingespeist werden. Ein Forschungsteam um Isabella Bianchini von der Abteilung Industrielle Energiesysteme am Fraunhofer IPA hat nun zusammen mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie ein Systemkonzept entwickelt, das die Einführung von Gleichstromnetzen in Fabriken ermöglicht. Einblicke in praktische Anwendungsbeispiele geben sie auf dem Messestand von Baden-Württemberg International.
Konsequenter Klimaschutz erfordert einen ganzheitlichen Ansatz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Im bereits abgeschlossenen Forschungsprojekt »Climate Solutions for Industries« (CS4I) hat ein Team um Christian Schneider von der Abteilung Industrielle Energiesysteme am Fraunhofer IPA zusammen mit Partnern aus der Industrie beispielsweise eine App entwickelt, mit der sich der sogenannte »True Carbon Footprint« eines Produkts über Unternehmensgrenzen hinweg ermitteln lässt. Denn Prozesse, die der Produktion vor- und nachgelagert sind, verursachen in manchen Fällen bis zu 70 Prozent der gesamten CO2-Emissionen. CS4I adressierte daher von der Beschaffung des Ausgangsmaterials über Investitionsentscheidungen, bis hin zur Auslieferung unter- schiedliche Aspekte, damit Unternehmen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gleichzeitig berücksichtigen können. Als Entscheidungsgrundlage dient ein digitales Abbild der Maschinen und Anlagen. Einen Prototyp des offenen Plattformkonzepts, das CS4I hervorgebracht hat, zeigen Wissenschaftler:innen in Halle 12 auf Stand D15.
Die teuerste Energie ist diejenige, die verschwendet wird: Schätzungen zufolge entweicht durchschnittlich etwa ein Drittel der Druckluft, die ein Unternehmen erzeugt, ungenutzt aus winzigen Löchern und undichten Verbindungs- stücken. Die Kosten für diese Verschwendung belaufen sich schnell auf zehntausende Euro pro Jahr. Die Suche nach den Leckagen war bisher aufwendig. Doch nun haben das Fraunhofer IPA, die Universität Stuttgart und der Sensorhersteller Sick eine automatisierte Detektion entwickelt. Das Herzstück bildet ein Durchflusssensor, der laufend Massenstrom, Druck- und Temperaturverlauf erfasst. Ein intelligenter Algorithmus wertet diese Kurvenverläufe in Echtzeit aus und erkennt charakteristische Signaturen, die auf Leckagen hindeuten. Den aktuellen Stand der gemeinsamen Entwicklungsarbeit veranschaulicht ein Demonstrator. An diesem Demonstrator trainieren das Fraunhofer IPA, die Universität Stuttgart und der Sensorhersteller Sick einen intelligenten Algorithmus, der Leckagen in Druckluftanlagen aufspürt.
Wasserstoff gilt als vielversprechender Energieträger, der sauber und vielseitig einsetzbar ist. Interessant ist Wasserstoff besonders für die Industrie und den Schwerlastverkehr. Damit aktuell noch emissionsintensive Prozesse durch Wasserstofftechnologien ersetzt werden können, besteht allerdings noch ein weitreichender Forschungsbedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette – angefangen bei der Produktion von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen.
Sowohl Elektrolyseure als auch Brennstoffzellen werden momentan noch häufig im sogenannten Manufakturbetreib hergestellt, also mit viel Handarbeit. »Wenn Brennstoffzellen im Schwerlastverkehr den Verbrenner ablösen sollen, müssen sie in industrieller Massenproduktion, weitgehend automatisiert und entsprechend kostengünstig hergestellt werden«, sagt Erwin Groß von der Abteilung Unternehmensstrategie und ‑entwicklung am Fraunhofer IPA. Genau das ist einem Forschungsteam vom Fraunhofer IPA und vom Centrum für Digitalisierung, Führung und Nachhaltigkeit Schwarzwald (Campus Schwarzwald) nun gelungen. Im Projekt »H2FastCell« ist eine Roboterzelle entstanden, in der zwei Roboter in Sekundenschnelle Bipolarplatten und Membran- Elektrodeneinheiten im Wechsel zu Brennstoffzellenstacks stapeln.
In einer ähnlichen Roboterzelle könnten in Zukunft auch Elektrolyseure massenhaft hergestellt werden, denn auch sie bestehen aus mehreren Schichten – zwei Elektroden und eine Protonen-Austausch-Membran (PEM) in der Mitte – und werden gestapelt.
Im Forschungsprojekt »Industrialisierung der PEM-Elektrolyse-Produktion« (PEP.IN) soll bis Frühjahr 2025 aber nicht nur dieses sogenannte Stacking, sondern die gesamte Produktionslinie automatisiert werden – mit sämtlichen nachgelagerten Prozessen bis zum End-of-line Testing. Einblicke in die Forschungsprojekte PEP.IN und H2FastCell gibt es auf dem Messestand von Baden-Württemberg International: Halle 12, Stand D15.
Noch einen Schritt weiter geht das Forschungsprojekt »Wandlungsfähige, energieflexible und vernetzte H2-Industrieforschungsplattform« (WAVE-H2) der Universität Stuttgart. Betrachtet wird hier ein ganzheitliches industrielles Energiesystem mit dem Fokus auf der Nutzung von Wasserstoff. Für insgesamt rund 36 Millionen Euro soll in den kommenden Jahren auf dem Campus der Universität Stuttgart und benachbart zum Campus Schwarzwald in Freudenstadt eine Industrieforschungsplattform aufgebaut werden. Sie soll unterschiedliche Technologieoptionen für die Erzeugung, Verteilung, Speicherung sowie den Verbrauch von Wasserstoff in einem vernetzten industriellen Energiesystem integrieren und so eine systematische Entwicklung und Erprobung innovativer Produktions- und Energietechnologien erlauben. Die Industrieforschungsplattform wird im industriellen Maßstab aufgebaut und betrieben. So können Firmen ihre Prozesse umrüsten und dort testen.
Auch abseits der beiden Messestände werden Gäste im Zuge des Rahmenprogramms der Hannover Messe auf das Fraunhofer IPA treffen. So findet am Dienstag, 23. April, auf der Industrial Transformation Stage in Halle 3 das ganztägige Veranstaltungsformat »Industrial AI« statt. Dabei erhalten Interessierte Einblicke in gemeinsame Forschungsprojekte rund um das Thema Künstliche Intelligenz, die das Fraunhofer IPA zusammen mit namhaften Industriepartnern in Use Cases präsentiert.