Die komplexen Regelungen der Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) werfen noch viele Fragen auf. Eine Fresenius-Fachtagung am 9. und 10. Oktober in Mainz bot einen kompakten Überblick über die rechtlichen Entwicklungen zur Kennzeichnung und Bewerbung von Lebensmitteln. Expertinnen und Experten aus Behörden, Industrie und Rechtsberatung diskutierten, was in Zukunft bei Kennzeichnung, Werbung und Verbraucherinformation für Lebensmittel zu beachten ist.
Etwas mehr als ein Jahr ist die EU-Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung (LMIDV) in Kraft. Seitdem zeigen viele Fälle im Alltag der deutschen Lebensmittelhersteller und Kunden, wie schwer die Anwendung bei Zweifelsfällen in der Praxis fällt. Unter anderem enthält die LMIDV Bestimmungen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln, die nicht vorverpackt (sogenannte lose Ware) oder in sogenannten Ladenpackungen in Verkehr gebracht werden. Ladenpackungen, die zur Selbstbedienung abgegeben werden, so dass in der Regel kein Verkaufsgespräch stattfindet, sollen demnach gekennzeichnet werden wie vorverpackte Lebensmittel. Das heißt: Die Lebensmittelverpackung muss alle nach der LMIV verpflichtenden Angaben, mit Ausnahme der Nährwertdeklaration, enthalten. Wie schwierig die Unterscheidung zwischen Ware zur Selbstbedienung und Ware mit Bedienung ist, machte Christian Steiner vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks deutlich. So werden zum Beispiel auch Backwaren, die auf einer Verkaufstheke einer Bäckerei liegen, von der Lebensmittelüberwachung teilweise als Selbstbedienungsware bewertet. Diese Einstufung entspricht nach Ansicht Steiners aber nicht dem Zweck der Differenzierung.
„Frei von“-Kennzeichnungen nicht frei von Missverständnissen
Sophie Hieke vom Europäischen Zentrum für Lebensmittelinformation (EUFIC) in Brüssel stellte eine Studie vor, in der europäische Verbraucher zu ihrer Einstellung gegenüber Lebensmittelprodukten befragt wurden, die mit einem „Frei von …“ Logo gekennzeichnet sind. Im speziellen wurden die Logos „Gluten frei“, „Laktose frei“, „Palmöl frei“ und „GMO frei“ untersucht. Der Studie zufolge schätzen Verbraucher Produkte, die ein solches Logo tragen, pauschal als gesünder ein, verglichen mit den gleichen Produkten ohne diese Kennzeichnung. Allerdings sind Lebensmittel nicht automatisch gesünder, nur, weil ein bestimmter Zusatz fehlt. Deshalb warnt die Verbraucherexpertin Hieke vor einem möglichen Vertrauensverlust auf Seiten der Konsumenten. „Wenn Kunden erfahren, dass ihre Erwartungen in Produkte, z.B. dass sie gesünder sind, da ihnen bestimmte Inhaltsstoffe entzogen wurden, nicht getroffen werden, kann es zu negativen Reaktionen kommen und letztlich das Verbrauchervertrauen gefährdet werden.“
Mindesthaltbarkeitsdatum: Wichtige Information oder Anlass zur Lebensmittelverschwendung?
„Ist das noch gut oder kann das weg?“ fragen sich viele Verbraucher und gucken dann zumeist auf das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf der Lebensmittelverpackung. Fast 70 Prozent der Menschen achten beim Einkauf auf diese Angabe. Das hat eine Umfrage der Prüf- und Zertifizierungsgesellschaft SGS ergeben, die Christian Hummert auf der Fresenius-Tagung vorstellte. Bemerkenswert: 23 Prozent der Deutschen haben der SGS Verbraucherstudie 2016 zufolge Zweifel, ob das angegebene Haltbarkeitsdatum stimmt. In der Tat unterlaufen Lebensmittelherstellern durchaus Fehler bei der Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums. Diese Fehler liegen entweder in der Deklaration oder in der Produktion. So ist die Formulierung manchmal fehlerhaft (obwohl der Text gesetzlich vorgeschrieben ist), oder die Schrift ist zu klein oder unleserlich. Fehler im Prozess liegen vor, wenn die Ware nicht sofort oder erst nach langer Standzeit etikettiert wird. Fehler entstehen auch, wenn die Mindesthaltbarkeit nur unter Idealbedingungen und nicht gemäß der Alltagsrealität geplant wird. Christian Hummert empfiehlt, bei sensiblen Produkten und Produkten, bei denen Interaktion mit der Verpackung (Migration) zu erwarten ist, Laboruntersuchungen zur Bestimmung des MHDs hinzuziehen. Er gab den Unternehmen fünf Praxistipps für die Prüfung: Wichtig sei, ausreichend Zeit für die Prüfung einzuplanen. „Die Bestimmung des MHD erfolgt über Lagertests. Diese brauchen schlicht eine gewisse Zeit.“ Zudem sollte man verschiedene Lagerbedingungen testen: „Variierte Lagerbedingungen geben oftmals interessante Einblicke ins Produkt“, so Hummert. Außerdem rät er zu regelmäßigen Prüfungen: „Streng genommen gilt ein ermitteltes MHD oder Verbrauchsdatum nur für die untersuchte Charge.“
Lebensmittelbetrug auf der Spur
Lebensmittelbetrug, neudeutsch: „Food Fraud“, ist eine große Herausforderung für Lebensmittelindustrie, ‑handel und überwachende Behörden. Immer wieder kommen Fälle von gefälschten oder gepanschten Lebensmitteln ans Licht und in die Medien. Ulrich Busch vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) stellte Methoden zur Überwachung der Authentizität und Identität von Lebensmitteln vor. Stabilisotopenanalyse zum Beispiel ermöglicht die Differenzierung von Direktsaft und Saft aus Konzentrat oder die Überprüfung der Herkunft von Erdbeeren oder Schafskäse.
Nun geht das Bayerische Landesamt einen Schritt weiter und nimmt zur Früherkennung von gefälschten Lebensmitteln das Marktumfeld näher in den Blick. Gemeinsam mit Statistikern der Ludwig-Maximilians-Universität München haben LGL-Experten die Analysemethode „Import screening for the analysis of food risks“ (ISAR) entwickelt, mit deren Einsatz sich Lebensmittel-Importströme auf Unregelmäßigkeiten untersuchen lassen. Dabei werden Veränderungen bei Preisen und Mengen von Lebensmittelimporten erfasst und in Bezug zum jeweiligen Herkunftsland gesetzt. Liegt beispielweise die tatsächliche Preisentwicklung über der erwarteten, kann dies ein Signal für eine höhere Wahrscheinlichkeit von Betrugsfällen sein.