Das junge Unternehmen Stanova Stanztechnik ist dem idealen Schneidspalt zum Stanzen von Kunststoffen auf der Spur. Eine Hochgeschwindigkeitskamera liefert eine neue Sicht auf den Stanzprozess.
Das Unternehmen untersucht seit Längerem die Bedingungen für rückstandsfreies Stanzen von Kunststoffen. Grat und Flusen verursachen nicht nur Kosten, da sie in einem zusätzlichen Prozessschritt entfernt werden müssen. Sie stellen auch eine Gefahr für Werker*innen dar und gefährden die Betriebssicherheit. Dabei hat sich vor allem der Kunststoff PC-ABS als divenhaft erwiesen. Während PVC durch eine hohe Stanzgeschwindigkeit und einen relativ kleinen Schneidspalt qualitativ sauber und rückstandsfrei getrennt werden kann, helfen diese Parameter bei der Bearbeitung von PC-ABS nicht. Doch genau dieser ist der attraktivere Werkstoff: PC-ABS ersetzt zunehmend PVC als Standardkunststoff, der bei Temperaturen ab ca. 210 °C Chlor freisetzt, das sich mit Wasserstoff zu Salzsäure verbinden kann. Außerdem muss bei einigen Anwendungen wie im Schienenfahrzeugbau die internationale Norm UL94 für die Entflammbarkeit von Kunststoffen eingehalten werden. PC-ABS kann diese Anforderung ohne den Zusatz von umweltgefährlichen und gesundheitsschädlichen Halogenen erfüllen.
„Es lohnt sich, die Faktoren für glatte Schnittflächen bei Kunststoffen herauszuarbeiten. Davon können die Unternehmen profitieren, die bisher auf eigene, kostspielige Art Rückstände an ihren Werkstoffen entfernen mussten”
Stanova Geschäftsführerin Katrin Lechler
Um die thermoplastischen Kunststoffe PC-ABS und PVC systematisch und wissenschaftlich zu untersuchen, hat Stanova die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin mit ins Boot geholt. Diese hat Grundlagenforschung betrieben, um sich dem Ziel, die Qualität der Stanzprodukte aus PC-ABS zu heben, zu nähern.
In bisherigen Studien wurde meist versucht, das Materialverhalten durch die Variation des Mischungsverhältnisses von PC zu ABS, des Butadien-Gehalts im ABS, der Prozessparameter beim Extrudieren und Mischen und der optional verwendeten Additive zu beherrschen. Stanova und die HTW haben einen neuen Ansatz gefunden, um das Stanzergebnis an PC-ABS Werkstoffen zu optimieren: Es wurde eine gläserne Schneidbuchse gefertigt, die Einblick in den Stanzprozess gewährt. Dieser wird mit Hilfe einer Hochleistungskamera gefilmt. Es entstanden 73 Aufnahmen mit Materialstärken zwischen 1,4 mm und 1,2 mm.
Mit dieser unkonventionellen Untersuchungsmethode kann das Materialverhalten von PVC und PC-ABS während des Stanzprozesses dargestellt und anschließend verglichen werden. Das junge Unternehmen Stanova wird damit seinem Anspruch gerecht, Neues zu wagen, um eingefahrene Abläufe in der Kunststoffbranche dynamischer und energieeffizienter zu gestalten. Das sind die vorläufigen Ergebnisse:
PVC weist eine geringe Bruchdehnung auf. Nach leichter Deformation zeigt das Material schon erste Anzeichen des für PVC typischen Weißbruchs, also eine Weißfärbung aufgrund der Verstreckung von Materialsträngen. Zum Ende des Vorgangs erfolgt ein Scherbruch mit geringfügiger duktiler Deformation. Der Versagensmechanismus des Materials gleicht einem spontanen, spröden Gewaltbruch.
PC-ABS hingegen scheint sich wie Kaugummi zu dehnen und sich mit jeder Faser dem Trennvorgang zu widersetzen. Oder anders ausgedrückt: PC-ABS wird so lange plastisch verformt, bis die Scherfestigkeit des Materials lokal überschritten wird. Wahrscheinlich findet bei der Bearbeitung von PC-ABS kein klassischer Stanzprozess inklusive Restbruch statt, das Material muss stattdessen über seine gesamte Materialstärke geschnitten werden.
Weitere Versuche ergaben, dass ein relativ zur Materialstärke kleiner Schneidspalt zu einer vermehrten Flusenbildung führt. Flusen sind unerwünscht, da sie zur Verstopfung der Schneidbuchse und weiterer Bauteile in der Umgebung führen können, aber auch Mikroplastikpartikel darstellen, die in die Umgebung gelangen. Bei Medizinprodukten können sie zum Beispiel in den Körper gelangen. Bei PVC dagegen ist es genau anders herum: ein kleiner Schneidspalt verringert Grat und Flusen am Werkstück. In dieser verwirrenden Situation liefern die Nahaufnahmen des Stanzprozesses wichtige Erkenntnisse: Offenbar entstehen Flusen beim Werkstoff PC-ABS, wenn der Stanzabfall, auch Butzen genannt, nicht komplett vom Werkstück getrennt wurde. Diese letzte Materialverbindung zwischen Butzen und Werkstück längt sich während des Stanzprozesses im Schneidspalt, während der Schneidstempel den Butzen nach unten abführt. Die Flusen gelangen also nicht in den Schneidspalt, sondern entstehen dort.
Die Aufnahmen mit dem unbekannten Filmstar „Stanzprozess“ haben sich gelohnt: Zum einen konnte das Materialverhalten von PC-ABS und PVC visualisiert werden. Zum anderen ist nun die ambivalente Rolle des Schneidspalts deutlich geworden. Außerdem ist ein dritter, wichtiger Faktor hervorgetreten, der für die Stanzqualität von Bedeutung ist: Der Niederhalter beginnt nach dem Aufsetzen auf das Material zu schwingen. Er kann also seine Funktion, die im Festhalten des Materials während des Stanzvorgangs besteht, nicht erfüllen. Dieses Schwingen scheint sich jedoch nur auf die Stanzqualität von PC-ABS negativ auszuwirken, beim PVC scheint es keinen oder nur geringfügig negativen Effekt zu haben. Wird die Funktion des Niederhalters optimiert, werden bei PC-ABS bessere Ergebnisse mit Blick auf Grat- und Flusenfreiheit erzielt. Möglicherweise liegt das an der höheren Bruchdehnung von PC-ABS gegenüber PVC. Eine Optimierung des Niederhalters wurde erreicht, in dem seine Masse verringert bzw. die Federkraft erhöht wurde. Hierdurch wird die Eigenfrequenz des Niederhaltersystems bzw. der bewegten Teile erhöht, wodurch die Schwingung zu einem früheren Zeitpunkt abklingt. Weiterhin könnten die Schwingungen verringert werden, indem schwingungsdämpfenden Elementen eingebaut werden.
Stanova und die HTW werden Folge-Versuche durchführen, bei denen weitere Kunststoffe in verschiedenen Materialstärken betrachtet werden. Ziel ist es, eine je nach Material und Stärke ideale Schneidspaltgröße zu finden, die glatte Schnittflächen garantiert.
Autoren:
Prof. Dr.-Ing. Roland Heiler
Katrin Lechler
Sebastian F. Noller
Prof. Dr.-Ing. Anja Pfennig