„Wir sehen, dass wir bei der Prozessführung ziemlich gut sind“ – mit diesen aufmunternden Worten läutete Dr. Wilhelm Otten von Evonik die Namur-Hauptsitzung ein, die am 8. und 9. November in Bad Neuenahr stattfand. Die Einschätzung passt, denn in diesem Jahr stand das Thema Feldgeräte im Vordergrund der von 650 Teilnehmern besuchten Veranstaltung. „Field instruments supporting digital transformation“ lautete das Motto, das Anwender von Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie, eingeladene Experten und Manager von Herstellern und Verbänden ausgiebig diskutierten. Als Sponsor engagierte sich Endress + Hauser.
Neuigkeiten aus der Namur gab Otten 2018 zum letzten Mal bekannt. Auf der Mitgliederversammlung am Vortag war der Vorstand neu gewählt worden, und Otten hatte den Staffelstab an Dr. Felix Hanisch (Bayer) abgegeben, der für die nächsten vier Jahre den Vorsitz des Verbands übernahm. Ihn sieht Otten als Teil einer „neuen Garde, die Dinge anders machen und neue Impulse setzen wird.“
5G bewegt die Industrie
Zunächst gab Otten in seiner Rede einen Rückblick auf das zurückliegende Jahr und die Erfolge bei strategischen Aktivitäten: etwa die Internationalisierung, aber auch Änderungen in der internen Organisation sowie die Vertretung der Interessen bei der Vergabe von 5G-Frequenzen. Die frisch ernannten Ehrenmitglieder der Namur, Dr. Thomas Tauchnitz (ehemals Sanofi) und Dr. Herbert Maier (Clariant), wurden nochmals auf die Bühne gebeten, bevor Otten auf verschiedene Highlights in seiner Amtszeit als Vorsitzender zurückblickte. Am Ende überreichte er die goldenen Ehrennadeln, die 2018 an Thomas Scherwietes (Evonik) und Prof. Dr. Alexander Fay (HSU Hamburg) für ihr langjähriges Engagement für den Verband gingen.
Die Vorstellung des Sponsors erfolgte danach durch Dr. Felix Hanisch (Bayer), der auch die Vorbereitung der Hauptsitzungsbeiträge mit dem Sponsor begleitet hatte. Das letzte Sponsoring von E+H war 2007, sodass im Vortrag die heutige Situation der vor 11 Jahren gegenübergestellt wurde. Fast doppelt so viel Umsatz, lebende Patente und Mitarbeiter belegen die positive Entwicklung des Unternehmens.
Im dreiteiligen Sponsorvortrag gaben Matthias Altendorf (CEO), Nikolaus Krüger (Vorstand Vertrieb) und Dr. Andreas Mayr (Vorstand Marketing/Technologie) Hintergründe zu Kundenorientierung, digitaler Ausrichtung und leistungsstärkeren Feldgeräten mit verbesserter Konnektivität. Die Orientierung des Familienunternehmens am Kunden zeigte sich neben dem Bekenntnis im Vortrag zum Beispiel schon daran, dass bei einzelnen Themen immer wieder Bezug auf die vorhandenen Namur-Empfehlungen und Arbeitsblätter genommen wurde. 90 Prozent der Feldgräte sind bereits digital, alle geräterelevanten Daten kann E+H aktuell und zeitnah zur Verfügung stellen, damit sie im digitalen Lebenszyklus von der Planung bis zum Asset Management bei Verwendung der Werkzeuge und Cloud-Lösungen dem Kunden helfen können, seine Prozesse zu verbessern. Intelligente Feldgeräte und das breite Angebot in der Prozessanalysentechnik waren weitere Punkte im Vortrag. Einfache Sensorik für Überwachungs- und Optimierungsaufgaben braucht am Ende eine geeignete Anbindung an eine Welt, die es erlaubt, Daten sicher und bedarfsorientiert abgreifen zu können. Ein Datenspeicher ist die E+H‑Cloud. Für den Weg der Daten in die Cloud ist der Ansatz der Namur Open Architecture und die Entwicklung der APL-Zweidrahttechnik ein wichtiger Schritt.
Anforderungen an den Wandel der Prozessanalysentechnik von heute und in Zukunft wurden von Frank Grümbel (Lanxess) und Dr. Ulrich Schünemann (BASF) dargestellt. Auch mit den derzeitigen betreuungsintensiven PAT-Installationen lassen sich durch Digitalisierung Informationen da bereitstellen, wo sie gebraucht werden. Und der Spezialist muss nicht unbedingt vor Ort sein. Um zukünftig mehr Digitalisierung erfolgreich einzuführen zu können, ist die Komplexität zu kapseln, damit der Anwender den Nutzen leicht und unmittelbar spüren kann. Um sicherzustellen, dass auch die Prozessanalysentechnik vom Nutzen der Namur Open Architecture profitieren kann, gilt es, den „Use Case PAT“ in die NOA-Initiative einzubringen.
NOA und OPC-UA im Fokus
Wie weit die Gestaltung der Namur Open Architecture fortgeschritten ist, wurde von Jan de Caigny (BASF) erläutert. In den zusammen mit dem ZVEI gebildeten Arbeitskreisen gilt es, bis 2019 einen NOA Security Ansatz zu entwickeln und die NOA-Implementierung in OPC-UA und die Verifizierung einer Anfrage an die zentrale Steuerungseinheit zu definieren. Basierend auf Use Cases sind Anforderungen an Informationsmodell, NOA Diode und Security sowie die Quellen für die Messdaten zu erarbeiten.
Im letzten Vortrag am Donnertagvormittag ging Dr. Michael Maiwald (BAM) auf smarte Sensoren in cyberphysischen Produktionen und die Forderung nach Interaktionsfähigkeit, Konnektivität und Kommunikationsfähigkeit, virtueller Beschreibung, Rückverfolgbarkeit und Compliance sowie Instandhaltungs- und Wartungsfunktionen ein. Im Feld bedarf es zukünftig mehr Security, mehr Intelligenz und dadurch mehr Rechenleistung. Am Ende prognostizierte er einen Technologiewechsel zu verteilten Netzwerken mit intelligenten Sensoren und Aktoren.
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Beim Programm am Nachmittag mit 28 interessanten Workshops war es sicherlich schwierig, sich zu entscheiden. NOA mit Live-Schaltung in das Testlabor der IGR, MTP mit Demonstratoren, Open Process Automation, PAT World Café, 5G, mobile Geräte im Ex-Bereich, FDI, Betriebseinrichtungen mit Sicherheitsfunktion, NA 35, die Workshops des Sponsors und zahlreiche weitere Vorträge. Besonders ein Vortrag über 5G in industriellen Anwendungen war stark frequentiert – hier hatten offenbar zahlreiche Teilnehmer der Tagung Informationsbedarf.
Die Verleihung des Namur-Awards am Freitagmorgen wurde von Rainer Oehlert (Dow) durchgeführt. Die Preise für hervorragende Diplom‑, Masterarbeiten und Dissertationen gingen dieses Mal an Dr. Maik Riedel (Ein Beitrag zur wissensbasierten Unterstützung bei der Auswahl technischer Ressourcen) und Dr. Markus Vogelbacher (Eine neue Methode zur kamerabasierten Analyse von Mehrstoffbrennern in industriellen Verbrennungsprozessen).
Prozessindustrie 4.0 schon in der Anwendung
Heute schon existierende Beispiele der digitalen Industrie‑4.0‑Technologie in den Unternehmen der Prozessindustrie wurden von Dr. Alba Mena (BASF) und Dr. Thorsten Pötter (Bayer) in ihrem Tandemvortrag vorgestellt. Diskutiert wurden die Fälle Inspektion, Anlagenstillstand und Anlagenänderung. Am Ende wurde gezeigt, wo heute etwa mobile Endgeräte, Auto-Identifikation, Drohnen, Big Data Analytics, Virtual Reality und Photogrammetrie eingesetzt werden. Wichtig für die flächendeckende Einführung solcher Technologie ist die konsequente Betrachtung der Total Cost of Ownership.
Dr. Frank Stenger (Process Net), Axel Haller (ZVEI) und Dr. Ulrich Christmann (Namur) berichteten in ihrem gemeinsamen Vortrag über den Stand zu Plug & Produce bei der Modularen Produktion und sagten für 2019 nach dynamischer Konzept- und Entwicklungsphase erste Produkte voraus. Die Zahl der beteiligten Unternehmen macht deutlich, wie wichtig das Thema für die Zukunft der Branche ist.
Dass strukturierte Daten notwendig für das Engineering sind, belegten Dr. Wilhelm Otten (Evonik) und Michael Wiedau (Evonik) in ihrem anschließenden Beitrag. Mit dem auf DEXPI und vorhandenen Standards basierenden ALC-Datenmodell lassen sich über den Lebenszyklus hinweg notwendige Daten zukünftig einfach zwischen den Systemen für Planung/Errichtung und Instandhaltung/Optimierung austauschen.
Im Übergangsvortrag zur Namur-Hauptsitzung 2019 zum Thema Konnektivität wurde es noch einmal besonders spannend, als Martin Schwibach (BASF) den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm (BSI), und den neuen Vorsitzenden der Namur, Dr. Felix Hanisch (Bayer), auf die Bühne holte. BSI wurde zum neuen Namur-Mitglied, und die Namur wurde Multiplikator für die Allianz für Cyber-Sicherheit. In den folgenden Vortragsteilen wurde auf die Bedeutung der Cyber-Sicherheit bei den Technologien der Digitalisierung eingegangen und das Thema Konnektivität beleuchtet. Die Komplexität der Konnektivität sicher zu beherrschen ist das Ziel. Wenn Daten das Erdöl des 21. Jahrhunderts sind, so das Fazit, dann sei die Konnektivität die Tankstelle.
In seinen Abschlussworten fasste Dr. Felix Hanisch (Bayer) als Vorsitzender die Veranstaltung noch einmal kurz zusammen und postulierte die Namur als Gestalter der digitalen Transformation. Dank auch an den Sponsor Endress + Hauser für sein hervorragendes Engagement bei dieser Veranstaltung.
Die nächste Namur-Hauptsitzung wird unter dem dem Motto „Enhanced connectivity for smart production“ stehen. Vom 7. bis zum 8. November 2019 trifft sich die Community der Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie bei dem von Phoenix Contact gesponserten Event wieder in Bad Neuenahr.