Die Firma Stanova Stanztechnik hat zwei Verfahren entwickelt und patentieren lassen, mit dem sich thermoplastische Kunststoffe endlich gratfrei stanzen lassen. Grat und Flitter, auch Engelshaar genannt, müssen nicht mehr in einem zusätzlichen Bearbeitungsschritt entfernt werden. Das spart Zeit, Kosten und Platz in der Fertigung.
Gratfreies Stanzen von Kunststoffen ist bisher nicht in einem Hub möglich. An den Schnittkanten bilden sich Grat und Flitter, die Monteur*innen im Schaltschrankbau verletzen können. Außerdem können sie die Funktionsfähigkeit von Bauteilen beeinträchtigen. Wer jemals verzweifelt den Grund für eine Fehlermeldung suchte und schließlich im Schaltschrank ein Kabel fand, das durch die scharfen Kanten eines Verdrahtungskanals beschädigt wurde, weiß um das destruktive Potenzial von Engelshaar.
Entgratung treibt Herstellungskosten in die Höhe
Grat an Kunststoffteilen wird bisher chemisch, thermisch oder mechanisch entfernt. Verdrahtungskanäle werden zur Entgratung zum Beispiel mit winzigen Kugeln beschossen. Aber auch klassische Verfahren wie Gleitschleifen oder Fräsen werden genutzt. Sie alle haben zwei Nachteile: Sie senken die Produktivität und erhöhen vor allem bei der Einzelteilbearbeitung die Kosten. Die Fachzeitschrift mav Innovation geht davon aus, dass bei Präzisionsbauteilen 30 Prozent der Herstellungskosten auf das Entgraten entfallen, bei Bauteilen aus der Automobilbranche sind es immerhin 15 bis 20 Prozent.
Das Unternehmen hat zwei Verfahren entwickelt, mit dem die gängigen Kunststoffe Polyvinylchlorid (PVC) und Polycarbonat-Acrylnitril-Butadien-Styrol (PC-ABS) gratfrei gestanzt werden können. „Wir haben viele Trial-and-Error-Schleifen hinter uns, bis wir substanzielle Verbesserungen erreicht haben“, sagt Manuel Schulz, Automatisierungstechniker bei Stanova. Stempelbeschichtungen und thermische Bearbeitungen von Werkzeug und Werkstoff brachten nicht die erhofften Verbesserungen.
Jeder Kunststoff eine Diva
Vor allem setzte sich nach zahlreichen Versuchen die Erkenntnis durch, dass es nicht ein erfolgreiches Verfahren für alle thermoplastischen Kunststoffe geben kann, sondern dass sich jeder Werkstoff beim Scherschneiden durch Stanzen anders verhält. Deshalb hat Stanova in einem ersten Schritt ein Verfahren für das Stanzen von PVC patentieren lassen: „PVC ist ein Werkstoff, bei dem wir durch hohe Stanzgeschwindigkeiten in Kombination mit einem kleinen Schneidspalt gute Ergebnisse erzielt haben“, sagt Uwe Heidler, Versuchsingenieur bei Stanova. Die hohen Stanzgeschwindigkeiten von 900 Hüben pro Minute erreicht Stanova durch den Einsatz von Exzenterstanzen, die von Servomotoren angetrieben werden. Eine hohe Produktionsgeschwindigkeit ist besonders da sinnvoll, wo Endlosmaterial gestanzt wird oder wo ein Vorschub die Werkstücke auf den Takt der Stanzeinheit beschleunigt.
Einfachwerkzeuge statt Mehrfachwerkzeuge
Die Verfahrensinnovation ist einfach und komplex zugleich: Das Werkzeug fährt nicht mehr mit dem Werkstück mit, sondern ist stationär, während das Material vorgeschoben wird. Das ist insofern eine Herausforderung, als die Vorschubbewegung und das Stanzen exakt synchronisiert werden müssen. Die Synchronisation betrifft alle Antriebe, die beiden Exzenter, die für das Stanzen zuständig sind, die beiden Antriebe, die das Material vorschieben. Beim Stanzen von Verdrahtungskanälen muss noch eine dritte Exzenterpresse synchronisiert werden. Sie stanzt die Befestigungslöcher in den Boden, die andere Abstände als die Seitenstanzen haben. Ein höchst komplexes Zusammenspiel und das alles bei 16 Hüben pro Sekunde.
Ein weiterer Vorteil: Einfachwerkzeuge lassen sich schnell und kostengünstig umrüsten. Durch die stationäre Anordnung der Werkzeuge wird deutlich weniger Energie benötigt als mit Mehrfachwerkzeugen, die während des Stanzvorgangs mit dem Werkstück mitfahren und danach wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Die Exzenterstanze von Stanova hat bei maximaler Stanzleistung (960 Hübe/Minute) eine Leistungsaufnahme von sieben bis zehn Kilowatt pro Stunde. Dagegen verbraucht eine hydraulisch angetriebene Stanzmaschine mit zirka 30 bis 40 Kilowatt pro Stunde mehr Strom bei weniger Hüben pro Minute.
Energieeinsparung von der Stanze bis zum Extruder
Die Energieeinsparung setzt sich fort bis zum Extruder, der die zu stanzenden Halbzeuge und Profile erzeugt. Der Extruder kann aber häufig nicht bei maximaler Auslastung fahren, weil die herkömmlichen Stanzen zu langsam sind. Nach Aussagen des Extruderherstellers Battenfeld-Cincinnati sinkt der Wirkungsgrad moderner Extruder im Teillastbereich auf 50 Prozent bis 60 Prozent ihrer maximal möglichen Leistung.
Läuft der Extruder nun nicht mehr im Teillastbetrieb, sondern leistet die maximale Ausbringung, wird die Wärmeleistung besser ausgeschöpft. Hier besteht gerade in der Kunststoffindustrie, deren Energiebedarf zu 60 Prozent aus elektrischer Energie besteht, ein enormes Einsparpotenzial.
Neue Werkzeugentwicklung für PC-ABS
Während PVC bei hohen Geschwindigkeiten gratfrei gestanzt wird, ist es bei PC-ABS genau andersherum: Je höher die Geschwindigkeit, umso mehr Grat und Flitter entsteht. Hier hat Stanova ein innovatives Werkzeug entwickelt, das eine Nachbearbeitung obsolet macht. Damit verringern sich die Herstellkosten für Produkte aus PC-ABS, der als Rohstoff bisher doppelt bis dreimal so teuer wie PVC ist. Gerade im Schienenfahrzeugbau, in öffentlichen Gebäuden und medizinischen Geräten, die höchsten Sicherheitsstandards entsprechen müssen, wird PC-ABS jedoch immer häufiger nachgefragt. Es ist selbstverlöschend und setzt im Brandfall keine giftigen Chlorwasserstoffdämpfe frei. Nicht zuletzt suchen Unternehmen nach Alternativen zu PVC, das bei der Herstellung und Entsorgung gesundheitlich und ökologisch bedenklich ist.
Bei der Suche nach Alternativen werden auch technische Biopolymere immer interessanter, zu denen derzeit viel geforscht wird. Sie versprechen fossile Ressourcen zu schonen und biologisch abbaubar zu sein. Noch gibt es keine einheitlichen Definitionen und Prüfkriterien dieser sog. Biokunststoffe. Doch eines geht aus den Stanzversuchen von Stanova eindeutig hervor: Viele der getesteten Werkstoffe verhalten sich weniger divenhaft als PVC und PC-ABS und lassen sich bei der richtigen Parameterwahl absolut gratfrei stanzen.
PowerSpee
Die PowerSpee stellt grat- und flusenfreie Verdrahtungskanälen aus PVC, PPO und PC-ABS her. Durch die hohe Stanzgeschwindigkeit kann die Leistung des vorgeschaltete Extruders besser genutzt werden als mit Hydraulik- oder Pneumatik-Pressen. Seiten- und Bodenstanzen werden von Exzenterpressen angetrieben. Die eingesetzten Einfachwerkzeuge sind kostengünstig in Anschaffung und Betrieb. Mit Hilfe des Schnell-Werkzeugwechselsystems gelingt das Umrüsten in wenigen Minuten.
BaseSpee
Die BaseSpee ist eine exzenterbetriebene Stanze, die zum Ablängen, Prägen und gratarmen Stanzen diverser Kunststoffe eingesetzt werden kann. Sie stanzt Einzelstücke als Stand-Alone-Maschine. Durch die kontinuierliche Bewegung der Exzenterpresse erreicht die BaseSpee eine hohe Produktivität. Die Schnellwechsel-Werkzeugkassette ermöglicht ein schleuniges und kostengünstiges Umrüsten. Bei Bedarf entwickelt Stanova einen passenden Vorschub.
FlexSpee
Die FlexSpee von Stanova zeichnet sich durch ihr Zusammenspiel von effizienter Zahnstangenpresse und hochgenauem Positionierantrieb aus. Die Presse übernimmt Stanz- und Prägeaufgaben mit extrem kurzen Taktzeiten. Die FlexSpee ist hervorragend für Kunststoffe, aber auch dünne Metalle und Biokunststoffe geeignet. Die Schneideinheit bewegt sich nach dem Prinzip der fliegenden Säge zusammen mit dem Werkstück. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Fertigung, die sich unmittelbar an den Extruder anschließt und an dessen Ausbringungsleistung angepasst werden kann. Die Einheit ist kompakt aufgebaut und besteht aus zwei robusten Mechaniken mit AC-Servomotor. Diese arbeiten hoch energieeffizient dank Kapazitätsmodulen, die die Bremsenergie zurückspeisen (Energierückgewinnung).
Info
Stanova Stanztechnik dankt Ihrer Kooperationspartnerin Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) für die Unterstützung im Rahmen des Programms „Zentrales Innovationsprogamm Mittelstand“.
Autorin: Katrin Lechler