Strom, Kälte und Wärme selbst produzieren und dabei so viel Energie sparen, wie normalerweise etwa 150 Einfamilienhäuser verbrauchen: Wenn der Selbstklebespezialist Herma im kommenden Herbst in Filderstadt sein neues Beschichtungswerk für Haftmaterial in Betrieb nimmt, schlägt das Unternehmen auch energetisch ein neues Kapitel auf. Das freut die Umwelt, hat aber auch einen starken betriebswirtschaftlichen Grund: „Das Thema Energiekosten wird spätestens in fünf bis zehn Jahren noch eine ganz andere Relevanz bekommen als heute“, sagt Herma Geschäftsführer Dr. Thomas Baumgärtner, der auch den Bereich Haftmaterial leitet. Er ist sich sicher: „Wenn man in der Lage ist, Energie sehr effizient zu nutzen, wird das über kurz oder lang ein bedeutender Wettbewerbsvorteil sein.“ Herma hatte deshalb schon bei den ersten Planungen für das neue Werk Energiefachleute der EGS-plan aus Stuttgart ins Boot geholt. Die Ingenieure des Planungsbüros, das bereits zahlreiche Preise und Auszeichnungen für seine an Nachhaltigkeit orientierten Konzepte bekommen hat, erhielten gewissermaßen freie Hand. „Das ist keine Selbstverständlichkeit“, wie Uwe Hemminger berichtet, der als Abteilungsleiter Energiekonzeption bei der EGS-plan schon viele Projekte betreut hat: „Wenn ein produzierendes Unternehmen eine weitere Fertigungsstätte errichtet, übernimmt es in den meisten Fällen das Energiekonzept der schon bestehenden Fertigung. Denn das hat sich ja bewährt; im Fokus stehen meist die eigentlichen Produktionsprozesse. Bei der Energieversorgung will man lieber nichts wagen. Herma war jedoch offen, neue Wege zu gehen – sofern sie sich rechnen.“
Klimatisiert durch Betonkerne
Kernstück des Herma Konzeptes ist ein eigenes Blockheizkraftwerk mit einer sogenannten Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung: Quasi als Nebenprodukt der Stromerzeugung entsteht dort Wärme, die wiederum in Absorptionskältemaschinen genutzt wird, um Maschinen und Produktionsräumen zu kühlen. „Die Menge der von uns erzeugten Wärme und Kälte reicht sogar aus, um zusätzlich noch das neue Gebäude des Herma Geschäftsbereichs Etikettiermaschinen zu heizen bzw. zu kühlen, das wir im Januar auf demselben Gelände in Betrieb genommen haben“, sagt Dr. Thomas Baumgärtner. Dafür wird das Prinzip der Betonkernaktivierung genutzt: In die massiven Betondecken des Etikettiermaschinen-Gebäudes wurden Kunststoffrohre eingelassen, durch die je nach Jahreszeit warmes oder kaltes Wasser fließt. „So kann die Raumtemperatur sehr energieschonend und umweltverträglich reguliert werden“, erläutert Dr. Baumgärtner.
Dank einer speziellen Schichtlüftung muss zudem im neuen Haftmaterialwerk deutlich weniger Zuluft erwärmt bzw. gekühlt werden; die Einsparung beträgt etwa 50.000 Kubikmeter Luft pro Stunde. „Und gerade Luft zu konditionieren ist ein sehr energieintensiver Vorgang“, sagt Uwe Hemminger von der EGS-plan. Der Wasserdampf, der benötigt wird, um die Papierbahnen zu befeuchten, wird nicht mehr – wie im bestehenden Werk – an einer einzigen zentralen Stelle erzeugt, sondern dezentral in der Nähe der Produktionsanlagen und damit bedarfsgerechter und mit weniger Energieverlusten aufgrund von Transportwegen.
Beträchtliche Einsparungen
Mit diesen und weiteren Maßnahmen lassen sich in Summe beachtlichen Einsparungen realisieren. Im Vergleich zum Energiekonzept in dem Beschichtungswerk, das Herma 2008 in Betrieb genommen hat, spart das Unternehmen jetzt eine Strommenge, die etwa dem jährlichen Verbrauch von 200 Einfamilienhäusern entspricht, bei der Wärme entspricht die Einsparung dem Jahresverbrauch von etwa 100 Einfamilienhäusern. „Wir freuen uns sehr darauf, bald ein Beschichtungswerk zu betreiben, das nicht nur bei der Produktions- und Materialflusstechnologie Spitze sein wird, sondern auch in Sachen Energieeffizienz“, so Dr. Thomas Baumgärtner. Die planmäßige Inbetriebnahme ist für den kommenden Herbst vorgesehen; die Investitionssumme für das neue Beschichtungswerk beträgt gut 80 Millionen Euro.