Zwei ABB-Roboter der Serie IRB 1300 beschleunigen als Teil eines automatisierten Labortisches das Probenmanagement in der Prä- und Post-Analytik – und das in einer nahtlosen Mensch-Roboter-Kollaboration. Durch diese Automatisierung erreicht das System einen Durchsatz von maximal 160 Proben pro Stunde. Zudem entlastet es das Personal und verbessert gleichzeitig die Ergonomie am Arbeitsplatz. Die Möglichkeit zur Fernüberwachung und Fernwartung bietet ein weiteres Plus an Flexibilität und Effizienz.
Der demografische Wandel macht auch vor den medizinischen Laboren Deutschlands nicht halt. Immer mehr Mitarbeitende verabschieden sich in den Ruhestand, und es rücken nicht genug MTLA-Absolvent:innen nach, um die Lücke zu schließen. Hinzu kommt, dass die Arbeit im Dreischichtsystem mit vielen monotonen manuellen Aufgaben die Attraktivität des Arbeitsplatzes „Labor“ schmälern kann. Medizinische Großlabore behelfen sich unter anderem beim Probenhandling mit automatisierten Laborstraßen (Total Lab Automation, kurz: TLA). Aber für Labore kleinerer Krankenhäuser mit bis zu 600 Betten waren passende, flexible Automatisierungslösungen lange Zeit rar gesät.
Die MVZ Medizinische Labore Dessau Kassel und ABB haben mit dem Lab Table II eine kostengünstige und kompakte Lösung für die automatisierte Prozessierung der Blutproben im klinischen Labor erarbeitet. Das MVZ, das als Ideengeber auf ABB zukam und den Prozess der Entwicklung einer robotergestützten Laboranalytik im Krankenhauslabor anstieß, besitzt umfangreiche Erfahrungen in der Versorgung von Krankenhäusern und betreibt sieben Vor-Ort-Labore in Krankenhäusern in Deutschland, die rund um die Uhr geöffnet sind. Darüber hinaus bestehen Managementverträge für krankenhauseigene Labore sowie zahlreiche sonstige Versorgungsaufträge für Kliniken. Mit seinen rund 300 Mitarbeitenden bearbeitet das MVZ jährlich über 1,8 Millionen Aufträge und führt circa 8,5 Millionen Laboruntersuchungen durch. Das Portfolio umfasst mehr als 5.000 verschiedene Leistungen – von toxikologischen über forensischen bis hin zu mikrobiologischen Untersuchungen. Das Unternehmen verfügt über vielfältige positive Erfahrungen in der Automatisierung der Labordiagnostik, insbesondere in der klinischen Chemie, Hämatologie und Gerinnung sowie in der Molekularbiologie. Das MVZ gehört zur Limbach Gruppe, der größten inhabergeführten Laborgruppe Deutschlands.
Ziel des gemeinsamen Projektes mit ABB war es, eine autarke Gerätekombination für den 24/7‑Betrieb zu schaffen, die bei einer leichten Bedienbarkeit einen möglichst hohen Probendurchsatz schafft. Herzstück des entwickelten und zum Patent angemeldeten Arbeitstisches für die Prä- und Postanalytik sind zwei ABB-Industrieroboter vom Typ IRB 1300 in einer Reinraum-Variante. Diese nehmen den Labormitarbeitern ab dem Blutprobeneingang zahlreiche Handgriffe im Umgang mit Blutproben ab – von der Analyse bis zur Probenarchivierung. Im Auswahlprozess überzeugten die ABB-Roboter durch ihre Geschwindigkeit, Wiederholgenauigkeit und die Reichweite von 1,40 Metern. Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die nahtlose Mensch-Roboter-Kollaboration via SafeMove, einer sicherheitszertifizierten Software von ABB: Die Labormitarbeitenden können über sensorüberwachte Bereiche direkt an die Analysegeräte herantreten, ohne eine Kollision mit einem Roboter befürchten zu müssen. Dringt eine Person in den definierten Sicherheitsbereich ein, drosseln die Industrieroboter ihre Bewegung auf ein sicheres Tempo. Entfernt sich der Mensch wieder, wird beschleunigt. Unabhängig von der Geschwindigkeit arbeiten die Roboter die Proben mit einer hohen Präzision ab.
So sieht ein klassischer Workflow mit dem Lab Table II im Detail aus: Die MTLA oder Mitarbeitenden des Krankenhauses stellen die Blutproben auf dem Roboter-Arbeitstisch in definierte Racks für den Probeneingang ab. Ab hier übernimmt der Roboter die weiteren Tätigkeiten. Damit es nicht zu Verwechslungen kommt, gleicht eine Kamera mit intelligenter, eigenentwickelter Bilderkennungssoftware die Farbe der Probenkappe mit einem Auftrags-Barcode ab. Außerdem wird der Füllstand der Blutprobe kontrolliert und im Laborinformationssystem (LIS) angefragt, ob es einen Auftrag für diese Probe gibt. Bei Unstimmigkeiten sortiert der Roboter die Probe aus und platziert sie auf ein Fehlerrack. Auch Patientenproben ohne Auftrag warten in einem speziellen Fehlerprobenbereich, bevor ein erneuter Scanversuch unternommen wird.
Ist die Probe grundsätzlich in Ordnung und ein Analyseauftrag vorhanden, stellt der erste ABB-Roboter diese in den Zentrifugenbecher oder gleich in Geräteracks, sofern eine Zentrifugation nicht erforderlich ist. Um die automatische Zentrifuge korrekt auszutarieren, führt der zweite Roboter Ausgleichsröhrchen ein. Anschließend werden die Zentrifugenbecher in die Untertischzentrifuge eingesetzt, die Zentrifuge verschlossen und die Proben zentrifugiert. Nach der Zentrifugation werden die Blutproben automatisch entstöpselt und in Probenracks eingesetzt. Der zweite Roboter führt zentrifugierte und nicht zentrifugierte Proben in ihren spezifischen Geräteracks den Analysesystemen zu, die in das LIS eingebunden sind. Nach der Analyse meldet ein Sensor dem Roboter, dass sich Probenracks im Probenausgangsbereich des jeweiligen Gerätes befinden. Dieser nimmt die Racks aus den Analyse-Geräten, dann die Proben aus den Racks, verschließt die zuvor geöffneten Proben und setzt sie in den Archivbereich ab.
Beim herkömmlichen, manuellen Probenhandling wird in Abhängigkeit von der Analysezeit eine bestimmte Taktzeit vorgegeben, in der Proben zugeführt und entnommen werden. Dieser Richtwert kann jedoch nie zu 100 Prozent die Realität abbilden, sodass im Laboralltag wertvolle Zeit verloren gehen kann. Die Roboter hingegen können dank der Sensorüberwachung die Proben wirklich in Echtzeit beladen und entnehmen. Durch diesen robotergestützten Workflow lässt sich im Real Time Tube Movement (RTTM) ein Probendurchsatz von maximal 160 Proben pro Stunde realisieren. So ist es auch möglich, Notfallproben priorisiert zu bearbeiten. Nach Abschluss der Implementierung im Februar 2024 rechnet die MVZ medizinische Labore Dessau Kassel GmbH mit einer bis zu 25 Prozent schnelleren Bearbeitungszeit.
Neben der Effizienz verbessert dieser Automatisierungsansatz auch die Ergonomie am Laborarbeitsplatz. Mit gerade mal 3,75 Quadratmetern Fläche ist der Robotertisch sehr kompakt gestaltet und gewährt auch ohne Umbauten den Zugang zu den Analysegeräten, etwa für die Wartung der Geräte oder wenn Proben doch mal manuell zugeführt werden sollen. Auch die Arbeitszeiten können durch den Einsatz des Lab Table II attraktiver gestaltet werden, denn: Die Labormitarbeitenden müssen während der Prä- und Post-Analytik nicht danebenstehen, sondern können den Workflow von einem zentralen Ort aus via Monitor-Überwachungssystem beobachten. Dieses System ermöglicht den Zugriff auf alle Gerätebildschirme. Dort erscheinen beispielsweise Fehlermeldungen, wenn Proben nicht korrekt gescannt werden können. Die Dokumentation kann automatisch auch mit einem Core Lab geteilt werden. Dank der Monitoring-Funktion und der Datenübertragung kann der Robotertisch außerhalb der Kernarbeitszeiten betrieben werden, ohne dass Labormitarbeitende physisch zugegen sein müssen. Durch die Anbindung des Systems an die Fernwartung von ABB kann im Fehlerfall schnell unterstützt werden.
„Einen derart hohen Durchsatz in einem kollaborativen Szenario zu realisieren, ist kein triviales Unterfangen und war nur mit unserem ausgeklügelten Konzept möglich“, betont Max Novotny, Sales & Business Development Manager, ABB Robotics. „Mithilfe von SafeMove ist es dennoch gelungen, einen Industrieroboter ohne physische Umhausung in einem kollaborativen Szenario einzusetzen. Und dank der tatkräftigen Unterstützung des MVZ-Teams konnten wir dieses hochspannende Projekt in gerade mal einem Jahr über die Ziellinie bringen.“
Der roboterbasierte Lab Table II verspricht nicht nur eine deutliche Steigerung der Produktivität, sondern auch eine erhebliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen im medizinischen Labor. Dank Automatisierung müssen Labormitarbeitende nicht mehr so viel Zeit für das monotone Probenhandling aufbringen, sondern können sich anspruchsvolleren Tätigkeiten widmen – für die dank der hohen Effizienz nun auch deutlich mehr Zeit bleibt.
„Die ABB-Experten haben es geschafft, ihre Erfahrung und ihr Know-how aus der industriellen Automatisierung auf äußerst effektive Weise auf die Anforderungen eines medizinischen Labors zu übertragen – eine beeindruckende Transferleistung“, freut sich Dr. med. Juliane Böttcher-Lorenz, Geschäftsführerin und Ärztliche Leitung, MVZ Medizinische Labore Dessau Kassel GmbH. „Der fertige Labortisch deckt die komplexen Prozesse der Prä- und Postanalytik vollständig ab, so dass kleine und mittlere Krankenhauslabore bestens auf künftige Herausforderungen wie den Fachkräftemangel gerüstet sind.“