Trends und Themen, die im Jahr 2023 und darüber hinaus Wissenschaft und Gesundheitswesen prägen werden haben Experten von PerkinElmer, einem Anbieter im Bereich Diagnostik und Biowissenschaften, begutachtet und kommentiert.
Unsere Gesellschaft hat langsame, aber stetige Fortschritte bei der Rückkehr zu mehr Normalität gemacht, da wir gelernt haben, mit COVID-19 zu leben. Dennoch werden die Anstrengungen im Bereich der Virusüberwachung und der Pandemievorsorge fortgesetzt, ebenso wie die unermüdlichen Bemühungen, wiederkehrende Krankheitserreger auf neue Weise zu bekämpfen und zu diagnostizieren.
Die Bekämpfung und Eindämmung der Ausbreitung von Affenpocken, anderen sexuell übertragbaren Infektionen, durch Zecken übertragenen Krankheiten, Krebs, Alzheimer und weiteren Krankheiten wird auch weiterhin im Mittelpunkt der Arbeit von Spezialisten des Gesundheitswesens und der Teams für Diagnostik und Arzneimittelforschung stehen.
Fortschritte in der Automatisierung und Technologien wie die Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS), Genom-Editierung und Proteogenomik haben das Potential, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen weltweit zu verbessern.
Gleichzeitig können die Fortschritte in der Technologie auch dazu führen, dass die Menge, die Art und die Komplexität wissenschaftlicher Daten zunimmt, was dazu führt, dass Cloud-basierte/SaaS-Konzepte für die Datenverwaltung (zur Förderung einer besseren Zusammenarbeit und einer zeitnahen und fundierten Entscheidungsfindung) ein immer wichtigerer Aspekt für Labore werden, den es zu berücksichtigen gilt.
Innovation zur Ursachenforschung bei chronischen Krankheiten
Yves Dubaquie, Senior Vice President Diagnostics, PerkinElmer
Long COVID hat das Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft an der Diagnostik chronischer Krankheiten neu geweckt, und das aus gutem Grund. Schätzungsweise eine von fünf Personen mit einer nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektion entwickelt nach der COVID Erkrankung Beschwerden wie Müdigkeit, “Hirnnebel”, Atembeschwerden oder Gelenkschmerzen, die über Wochen, Monate oder sogar länger anhalten können. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass Personen, die lange an COVID erkrankt waren, mit größerer Wahrscheinlichkeit Autoimmunitätsmarker im Blut aufwiesen als Personen, die sich schnell erholten oder sich nie mit dem Virus infiziert haben. Daraus sollten wir ableiten, dass sich die Weiterentwicklung neuer und bestehender Diagnostikmethoden zum Verständnis der Immunreaktion auf zellulärer Ebene im Jahr 2023 und darüber hinaus lohnen wird, und zwar nicht nur für Long COVID, sondern auch für zahlreiche weitere Erkrankungen. Die aktuelle Forschung zum chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) könnte beispielsweise zu einer besseren Diagnose und Behandlung für zahlreiche Betroffene dieser bisher unzureichend erforschten Krankheit führen.
Metagenomik in der klinischen Forschung und die wachsende Bedeutung der Ganzgenomsequenzierung (WGS) in der Präzisionsmedizin
Dr. Madhuri Hegde, SVP & Chief Scientific Officer, PerkinElmer Genomics
Die Multiomik ist die Zukunft der Bioanalytik. Im kommenden Jahr können wir mit weiteren Fortschritten der entsprechenden Technologien rechnen. Die Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS) erweist sich bei der Diagnose von seltenen, komplexen und weit verbreiteten Krankheiten weiterhin als nützlich, wobei einige Schätzungen zeigen, dass diese Methode die diagnostische Genauigkeit um 40 bis 60 Prozent verbessert. Vielversprechend ist auch das neue Feld der Metagenomik in der klinischen Forschung. Entdeckungen, die mit Hilfe des Multiomics-Ansatzes der nächsten Generation gemacht werden, der zur Konvergenz von Daten aus mehreren klinischen Versorgungsplattformen in Verbindung mit mikrobiellen und viralen Genomanalysen führt, werden Genetiker und Kliniker letztlich dabei unterstützen, Diagnosen schneller zu stellen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesundheitslage ihrer Patienten zu verbessern.
Operative Exzellenz durch Automatisierung
Carola Schmidt, General Manager Automated Robotic Solutions
Labore stehen derzeit vor einer Vielzahl von Herausforderungen: Einerseits dem stetig wachsenden Fachkräftemangel bei kontinuierlich steigendem Probenaufkommen aufgrund einer alternden Gesellschaft in Verbindung mit immer neuen medizinischen Möglichkeiten, andererseits den zunehmenden Anforderungen im Bereich des Qualitätsmanagements, der Akkreditierung und der Dokumentationspflicht.
Der technische Fortschritt ermöglicht es uns jedoch, Lösungen zu finden, um dem wachsenden Probenaufkommen und dem Personalengpass zu begegnen. Automatisierte und weitgehend digitalisierte Arbeitsabläufe ermöglichen eine höhere Effizienz, dank der sich das Laborpersonal auf wichtigere und anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren kann.
Die Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsabläufen im Labor hat einen signifikanten Einfluss auf den Probendurchsatz und steigert die Effizienz und Produktivität bei gleichzeitiger Kostenreduzierung. Zuverlässige und schnelle Laborergebnisse sind für das System von entscheidender Bedeutung, da sie es den Ärzten ermöglichen, rund um die Uhr zeitnah wichtige Entscheidungen zum Wohle ihrer Patienten zu treffen.
Um die Herausforderungen von heute und morgen zu bewältigen, ist es für Labore essenziell, das SMART-Prinzip auf ihre Abläufe und Prozesse anzuwenden. SMART steht für: Skalierbar, Modular, Agil, Reliable (robust) und Tailor Made (maßgeschneidert). Nur so kann das Labor schnell und flexibel auf die sich kontinuierlich ändernden Rahmenbedingungen reagieren.
Screening-Programme für Neugeborene werden zugänglicher und zuverlässiger
Petra Furu, General Manager Reproductive Health
Es ist zu erwarten, dass im Jahr 2023 Neugeborenen-Screening-Programme (NBS) weltweit zunehmend zugänglicher, umfassender und genauer werden, um Krankheiten und Erbkrankheiten bei Neugeborenen zu diagnostizieren. Dazu gehört auch die Ausweitung der NBS-Panels auf Krankheiten wie die fortschreitende neuromuskuläre Störung Spinaler Muskelatrophie (SMA). In einigen Regionen Dänemarks und Spaniens wird bereits ein SMA-Screening durchgeführt, und Pilotstudien in diesen Ländern — sowie in Italien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich — könnten andere Regionen ermutigen, diesem Beispiel zu folgen. Darüber hinaus hat die australische Regierung vor kurzem eine Investition von 39 Millionen Dollar angekündigt, um die Anzahl und Konsistenz der Screenings im ganzen Land zu erhöhen, und in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara hat der ghanaische Gesundheitsdienst das Neugeborenen Screening als eine gesundheitliche Priorität anerkannt. Dort hat man sich fest vorgenommen, die Zahl der Neugeborenen, die auf Sichelzellkrankheit (SCD) untersucht werden, bis 2030 von derzeit 4 Prozent auf 50 Prozent zu erhöhen. Es bleibt zu hoffen, dass solche umfangreichen und ambitionierten Zusagen auch im kommenden Jahr eingehalten werden.
Darüber hinaus werden technologische Fortschritte eine treibende Kraft für künftige Fortschritte bei der Früherkennung von Sichelzellkrankheiten weltweit sein. Studien zur Ganzgenomsequenzierung (WGS), die derzeit weltweit durchgeführt werden, bestätigen den Nutzen dieses Ansatzes für das Neugeborenen Screening, nicht nur als Test der zweiten Stufe, sondern auch zur effektiven und schnellen Identifizierung von mehr Neugeborenen, die wahrscheinlich eine seltene Krankheit entwickeln werden.
Hochpräzise T‑Zell-Tests werden Realität
Phill Keefe, Chief Executive Officer, PerkinElmer’s Oxford Immunotec
Die Forschung zum Verständnis der Immunreaktionen auf SARS-CoV‑2 hat die entscheidende Rolle der T‑Zellen bei der Reaktion des menschlichen Körpers auf die Infektion deutlich gemacht. Impfstoffhersteller sind daher bestrebt, T‑Zell-Tests in ihre klinischen Studien einzubeziehen, und dies nicht nur für künftige COVID-19-Impfstoffe, sondern auch für jene, die zur Prävention und Abwehr anderer Infektionskrankheiten entwickelt werden. Im Jahr 2023 werden hochpräzise Routinetests auf T‑Zellen nicht mehr nur ein Wunschtraum, sondern Realität sein.
In der klinischen Praxis sind T‑Zell-Tests eine wichtige Grundlage zur Diagnose einer latenten Tuberkulose (TB), wobei zwei Methoden zum Einsatz kommen: ELISPOT (enzyme-linked immunosorbent spot) und ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay). Die Weltgesundheitsorganisation hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Leitfaden für Tests auf Tuberkulose-Infektionen erneut die Vorteile von IGRAs auf ELISPOT-Basis gegenüber ELISAs hervorgehoben, da die ELISPOT-Technik antigenspezifische Reaktionen auf der Ebene einzelner Zellen misst und so die Variabilität verringert. Diese Fähigkeiten — sowie eine breitere Verfügbarkeit von IVD-Test Kits auf der Grundlage dieses Ansatzes — werden in Zukunft sowohl für die Diagnostik von Infektionskrankheiten als auch für die Entwicklung von Impfstoffen von entscheidender Bedeutung sein.
Durch Zecken übertragene Krankheiten auf dem Vormarsch
Maite Sabalza, PhD, Scientific Affairs Manager, PerkinElmer Euroimmun US
Durch Zecken übertragbare Krankheiten sind zu einer globalen Herausforderung für das Gesundheitswesen geworden. In den letzten Jahren haben sowohl die durch Zecken übertragenen Krankheitserreger als auch die Krankheitsfälle weltweit zugenommen. In den USA sind durch Zecken übertragene Krankheiten die häufigsten durch Vektoren übertragenen Krankheiten, wobei die Borreliose die am häufigsten gemeldete ist. Außerdem haben Zeckenuntersuchungen gezeigt, dass sich die Zeckenpopulationen rasant in neuen Gebieten ausgebreitet haben. Da immer mehr Fälle gemeldet werden, ist es von entscheidender Bedeutung, durch Zecken übertragbare Krankheiten präzise und schnell zu erkennen, um eine rechtzeitige Behandlung zu ermöglichen. Zu den neu auftretenden Krankheitserregern gehört das Powassan-Virus, das hauptsächlich von denselben Zecken übertragen wird wie die Lyme-Borreliose. Angesichts der Ausbreitung von I. scapularis und des erheblichen Anstiegs der Zahl der Powassan-Fälle in den letzten zehn Jahren besteht ein dringender Bedarf an Methoden zum Nachweis von POWV und anderen Krankheiten, die nicht auf Borreliose zurückzuführen sind.
Die Verwendung von Krankheitsmodellen mit erhöhter physiologischer Relevanz zur Verbesserung der Vorhersagekraft
Wie man eine Krankheit im Labor nachbildet, um schneller Medikamente zu entwickeln
Jacob Tesdorpf, Leiter des Marktsegments Life Sciences
Einer der wichtigsten Trends der letzten Jahre in Forschung und Entwicklung ist die Verwendung von Krankheitsmodellen mit erhöhter physiologischer Relevanz, die versprechen Sicherheit und Wirksamkeit von Wirkstoffen in Patienten besser vorherzusagen. Während die ersten Schritte mit humanen Zelllinien in 2D- und 3D-Kulturen unternommen wurden, sehen wir jetzt zunehmend die Verwendung von Organoiden und mikrophysiologischen Systemen, die aus iPSC- oder primären Zellen aufgebaut werden und nicht nur das Zellverhalten, sondern auch das komplexe Verhalten von Gewebe als Reaktion auf eine Behandlung nachahmen.
Jüngste Veröffentlichungen untersuchen die Möglichkeiten solcher Systeme zur besseren Vorhersage der klinischen Sicherheit in der präklinischen Phase. Schon bessere Modelle für Lebertoxizität können dazu beitragen, sicherere Arzneimittel schneller auf den Markt zu bringen und durch eine höhere Erfolgsquote von klinischen Studien möglicherweise Milliarden von Dollar einzusparen. Mindestens drei Technologien werden diese Entwicklung im Jahr 2023 beschleunigen: bessere Mikrofabrikationstechniken, einschließlich 3D-Bioprinting, die verbesserte Bioreaktoren im Mikromaßstab für die Züchtung der Modelle ermöglichen; präzise Base-Editing-Methoden, die maßgeschneiderte Zellen zur Nachbildung von Geno- und Phänotypen der Krankhheit ermöglichen; und künstliche Intelligenz/Maschinenlernen, die die Analyse dieser komplexen Datensätze zur besseren Vorhersage klinischer Ergebnisse beschleunigen.