Im Gespräch geben Konzernchef Gunnar Groebler und KHS-Geschäftsführer Kai Acker Einblicke in die ehrgeizigen Ziele und sagen, welche Herausforderungen es auf dem Weg dorthin zu meistern gilt.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität leisten immer mehr Unternehmen ihren Beitrag zu Dekarbonisierung und nachhaltigem Wirtschaften — Gesellschaft, Industrie und Wirtschaft befinden sich aktuell in einem tiefgreifenden Wandel. Hier bildet Salzgitter, die Konzernmutter von KHS, keine Ausnahme: Mit seiner Anfang 2022 festgelegten Strategie „Salzgitter AG 2030“ nimmt der Konzern die gesellschaftlichen und politischen Strömungen auf und verschreibt sich ganz dem Prinzip der Circularity. „Wir wollen uns als führendes Unternehmen der Kreislaufwirtschaft etablieren“, betont der Vorstandsvorsitzende Gunnar Groebler, der vor seinem Amtsantritt 2021 mehr als zwanzig Jahre lang in der Energiebranche die Transformation hin zu erneuerbaren Energien begleitet und mitgestaltet hat. Stahl ist für ihn ein universeller und nachhaltiger Werkstoff, der Menschen in sämtlichen Lebensbereichen begegne und zudem unendlich recycelbar sei. Konzernweit gibt es bereits viele Ansätze einer Circular Economy, die nun ausgebaut und durch neue Aspekte ergänzt werden.
Vier klare Prinzipien
„Circularity umfasst ‚Reduce – Reuse – Recyle – Rethink‘, vier Prinzipien, die wir künftig bei jeder unserer Handlungen im Blick behalten“, erklärt Groebler. „Indem wir bewusster mit endlichen Ressourcen umgehen, minimieren wir diese im Wirtschaftskreislauf – das spiegelt sich im Begriff Reduce wider. Reuse bedeutet für uns, dass wir einmal der Natur entnommene Ressourcen möglichst lange in der wirtschaftlichen Verwendung halten. Mit Recycle meinen wir, dass Rohstoffe von bereits verwendeten Produkten wieder nutzbar gemacht werden, um so Ressourcen zu sparen. Und unter dem Motto Rethink hinterfragen wir kontinuierlich unsere Gewohnheiten und Prozesse.“
Die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft finden selbstverständlich auch bei KHS Anwendung, stellt Kai Acker fest, Vorsitzender der Geschäftsführung des Dortmunder Systemanbieters von Getränkeabfüll- und Verpackungsanlagen. „Für uns ist Circularity aus verschiedenen Blickwinkeln besonders relevant. Wir können die Behälter, die auf unseren Maschinen hergestellt oder abgefüllt werden, als zirkulär betrachten: Das gilt für PET, das beliebig oft recycelt werden kann, sofern es die notwendige Infrastruktur gibt, und bei dem wir Wege entwickeln, wie immer mehr Material eingespart werden kann. Und es trifft auf Mehrweg-Glasflaschen zu, die so lange wie möglich durch Rückführung, Reinigung und Wiederbefüllung in Umlauf gehalten werden. Bei Sekundärverpackungen engagieren wir uns unter dem Motto ‚Weniger ist mehr‘: Denken Sie nur an das Nature MultiPack, bei dem dank weniger Klebepunkte ganz auf weiteres Verpackungsmaterial verzichtet werden kann. Andere und, wie ich finde, für uns noch wichtigere Aspekte betreffen unsere Maschinen: Sie sind aus Stahl hergestellt, der für eine lange Lebensdauer sorgt und selbst nach seiner Verschrottung vollständig recycelt werden kann. Vor allem aber arbeiten wir seit Jahren daran, den Energie- und Ressourcenverbrauch unserer Anlagen zu senken sowie deren CO2-Fußabdruck zu verkleinern, zum Beispiel mit unserem Innofill Glass DRS ECO, mit dem bis zu 60 Prozent CO2 eingespart werden kann. Wir blicken über unseren ökologischen Tellerrand, indem wir sicherstellen, dass unsere Maschinen rPET-kompatibel sind. Und wir fokussieren uns auf ökonomische Ziele wie eine langfristig hohe Gesamtanlageneffektivität.“
KHS-Kurs bestätigt
Ende 2018 kam Acker als Geschäftsführer zu KHS. Eine seiner ersten Aufgaben war, die bisherige Unternehmensstrategie grundsätzlich zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Das Anfang 2019 vorgelegte Ergebnis dieses Prozesses heißt „KHS 2025“ und umfasst 10 Kernmaßnahmen oder „Hausaufgaben“, wie der KHS-Chef es nennt, deren Realisierung einen langen Atem erfordere. Viele dieser Themen finden sich heute in ähnlicher Form in der neuen Konzernstrategie wieder – kein Wunder, schließlich waren die Geschäftsbereichsleiter aktiv in den Prozess eingebunden, der im Sommer 2021 angestoßen wurde. „Dabei konnten wir feststellen, dass unsere Zielsetzungen mit denen von Salzgitter weitgehend übereinstimmen. Und wir haben sehr gute Diskussionen geführt, die uns in unserem Kurs bestätigt haben, den Fokus auf profitable Neuprodukte zu legen, die Kunden begeistern und am Markt entsprechenden Mehrwert bringen.“ Bis Ende 2024 werde er nun die KHS-Strategie in einem iterativen Prozess kontinuierlich weiterentwickeln und – in Übereinstimmung mit den Konzernzielen – bis zum Jahr 2030 fortschreiben.
Viele Aspekte der Kreislaufwirtschaft mögen gerade für den Geschäftsbereich Technologie, zu dem KHS den weitaus größten Teil beisteuert, nicht neu sein, auch wenn hier noch einiges zu tun bleibt. Für die anderen Tochtergesellschaften mit ihrem Schwerpunkt auf Stahl sind die Herausforderungen größer – das ist Groebler durchaus bewusst: „Ich wünsche mir, dass alle Mitarbeitenden den Veränderungen offen gegenüberstehen, die sich aus der Transformation der Salzgitter AG ergeben, diese aktiv mitgestalten und als Chance begreifen.“ Ziel jeder Gesellschaft müsse es sein, sich branchenübergreifend zu unterstützen und durch Kooperationen gegenseitig zu fördern. Dabei seien strategische Partnerschaften sicherzustellen, unter anderem hinsichtlich der Schaffung von Zugängen zu hochqualitativen Schrott- und regenerativen Energiequellen sowie der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff.
Mensch als Transformationstreiber
Wesentlicher Teil der aktuellen Konzernstrategie ist es, den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken – ein Aspekt, der sich im erweiterten Unternehmensclaim „Mensch – Stahl – Technologie“ ausdrückt. „In unserer neuen Strategie geht der Mensch als Pionier voran und stellt das Gelingen der Unternehmensvision sicher“, verdeutlicht Groebler. „Er bringt seine Ideen ein, setzt sie um und treibt die Transformation von Salzgitter voran. Ohne unsere Mitarbeitenden ist alles, was wir uns vorstellen, nicht möglich.“
Im Zusammenhang mit dieser neuen Akzentsetzung weist Acker auf den zu erwartenden enormen Personalabgang hin: „In den nächsten 10 Jahren werden wir aufgrund des demographischen Wandels im gesamten Konzern zwischen 25 und 30 Prozent unserer Mitarbeitenden verlieren. Das stellt uns vor die Herausforderung, das vorhandene Know-how zu sichern und neues hinzuzugewinnen. Und es wirft die Frage auf, wie wir als Arbeitgeber so attraktiv bleiben, dass wir junge Menschen für uns begeistern können. Das ist ein globales Thema und eine spannende Aufgabe.“
Nachweislich weniger Emissionen
Für Veränderung sorgt aber vor allem die globale Klimadiskussion: Bisher lag der Fokus bei Investitionsentscheidungen auf dem Anschaffungspreis der KHS-Maschinen; Erträge erzielte deren Hersteller vor allem durch Wartung und Service. Nun hat sich der Schwerpunkt verschoben: „Wir werden gefragt, welchen konkreten Beitrag wir für unsere Kunden in der Getränkeindustrie leisten können und müssen über Maschinendaten, Energieverbräuche, den CO2-Fußabdruck und vieles mehr informieren“, betont Acker.
Ein gutes Beispiel sei Heineken, das derzeit eine Brauerei errichte, bei der CO2-Neutralität buchstäblich schon vor dem ersten Spatenstich ganz oben auf der Prioritätenliste stehe. „Dort wird selbstverständlich gemessen, was wir beitragen können. Und selbst wenn unser eigener Fußabdruck bei Neumaschinen vergleichsweise gering ist, wird sich auf die Entscheidung zugunsten von KHS künftig auswirken, wie unsere Anlagen über ihre gesamte Lebensdauer die CO2-Bilanz unserer Kunden positiv beeinflussen können. Das erfordert ein umfassendes und belastbares Reporting nicht nur unserer deutschen Aktivitäten. Wir müssen mit Hilfe von Auditoren nachweisen, was wir an unseren Produktionsstandorten etwa in Brasilien, Mexiko, den USA, Indien und China konkret in puncto Nachhaltigkeit unternehmen – und mit welchem Erfolg.“
Diese Herausforderung nimmt KHS gerne an: Zu den wirkungsvollsten Maßnahmen zählt Acker in diesem Zusammenhang das Forcieren des Local-to-local-Ansatzes, bei dem vor allem Produktion und After-Sales dezentral in den Ländern stattfinden, in denen der Maschinenbauer weltweit tätig ist. Durch den daraus resultierenden Entfall aufwändiger Transporte sowie durch digitale Lösungen seien erhebliche CO2-Einsparungen möglich, die das Unternehmen mehr und mehr ausschöpfen werde.
Sparringspartner im Austausch
Dabei unterstütze der Konzern, wie Groebler ausdrücklich betont: „Wir arbeiten als Sparringspartner in engem Austausch gemeinsam an Konzepten für die Erfassung und Reduktion von CO2-Emissionen – sei es bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung oder bei der EcoVadis ‑Zertifizierung, um nur zwei Beispiele zu nennen.“ Anders als die übrigen Konzerngesellschaften mit ihrem Schwerpunkt Stahl kann der Geschäftsbereich Technologie umgekehrt neue Sichtweisen und Ansätze in die Nachhaltigkeitsbestrebungen von Salzgitter einbringen. „Hier profitiert der gesamte Konzern davon, dass die KHS neue Maßstäbe setzt.“
Auf die Frage, wo die KHS im Rahmen des nachhaltigen und auf Kreislaufwirtschaft fokussierten Konzerns in 10 Jahren stehe, hat Acker eine klare Antwort: „Wir werden unsere Produkte auf ihre Kreislauffähigkeit hin genau überprüft und optimiert haben, sodass möglichst alle Komponenten am Ende des Maschinenlebenszyklus refurbished, reused oder recycelt werden können. Dabei werden wir uns weiterhin auf unser Kerngeschäft im Getränkebereich konzentrieren. Zusammen mit dem Markt, der angesichts der ansteigenden Weltbevölkerung weiterhin ein großes Potenzial verspricht, werden wir organisch wachsen.“
Werkstoff mit Zukunft
In der Kernkompetenz Getränkeabfüllung verfüge man neben dem Thema Keg vor allem in den Bereichen Glas, Dose und PET über drei enorm starke Standbeine.
Gerade bei letzterem sieht Acker riesige Chancen: „Neben PET sprechen wir inzwischen über pflanzenbasierte Kunststoffe wie Polyethylenfuranoat (PEF), das vollständig wiederverwertbar ist und in dem die Branche eine vielversprechende Perspektive sieht. Meine persönliche Meinung ist, dass PET für Getränkeverpackungen derzeit der beste Werkstoff ist, den es gibt. Kunststoffflaschen sind leicht, gehen nicht kaputt und können endlos recycelt werden. In Deutschland zum Beispiel erreichen wir bei der Rohstoffrückgewinnung eine Quote von stolzen 99 Prozent. Prinzipiell ist das überall möglich, vorausgesetzt es gelingt uns, den Kreislauf zu schließen. Dafür müssen Anreize geschaffen werden, zum Beispiel durch die Einrichtung von Pfandsystemen. Dass dieses möglich ist, sehen wir zum Beispiel in Afrika, wo das Bewusstsein für diese Notwendigkeit derzeit mehr und mehr wächst und sich Strukturen für das Einsammeln von Plastikabfällen bilden. Anders als bei uns, wo man es gewohnt ist, Wasser aus der Leitung trinken zu können, geht das in den USA nicht überall – und in Afrika oder Asien schon gar nicht. Dort sind PET-Flaschen die günstigste und einfachste Möglichkeit, Menschen mit sauberem Trinkwasser zu versorgen.“
Neben dem organischen Wachstum im Kerngeschäft sieht Acker die weitere Digitalisierung als Zukunftsthema. Auf diesem Feld habe KHS bereits viel vorzuweisen, werde sein Potenzial aber künftig noch verstärkt ausschöpfen. Zu den wichtigsten Aktivitäten zählt er in diesem Zusammenhang zum Beispiel Predictive Maintenance, die vorausschauende Wartung, ebenso wie die MES-Systeme, die der Anlagenbauer anbietet, oder die Automatisierungsbestrebungen sowie den Remote Diagnostic Service ReDiS, die Fernwartung für KHS-Maschinen und ‑Anlagen per Online-Verbindung.
Einen Wandel sieht Acker schließlich beim Thema Innovationen: Seien neue Technologien früher erst dann erfolgreich gewesen, wenn sie beim Getränkeabfüller einen Ergebnisvorteil erwirtschaftet hätten, rücke in Zukunft der CO2-Fußabdruck als Erfolgskriterium deutlich in den Vordergrund. Dennoch erwartet er auch in 10 oder 15 Jahren noch Preisdiskussionen: „Innovationen kosten Geld. Natürlich ist etwa grüner Stahl für das Automobil teurer als grauer. Es stellt sich die Frage, ob Konsumenten bereit sind, für ein aus entsprechend klimafreundlicheren Werkstoffen hergestelltes Auto zum Beispiel 20 Prozent mehr auszugeben, oder ob die Moral am Regal endet.“ Aus seiner Sicht können in solchen Situationen staatliche Rahmensetzungen dafür sorgen, dass sich neue und nachhaltigere Produkte im Markt durchsetzen können.
Mit welchen Risiken sieht sich der Konzern auf dem Weg zum Vorreiter in der CO2-armen Stahlerzeugung und ‑weiterverarbeitung konfrontiert? Als aktuell größtes Risiko nennt Konzernchef Groebler den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sowie alles, was damit zusammenhängt. Zutiefst besorgniserregend findet er, dass dort ansässige Mitarbeitende von KHS unmittelbar betroffen seien und dass niemand absehen könne, wann der Krieg ende.
Schwierige Rahmenbedingungen
„Unsere wirtschaftlichen Aktivitäten in der Ukraine und in Russland mögen zwar überschaubar sein“, stellt Groebler fest. „Aber als global tätiges Unternehmen spüren wir die indirekten Auswirkungen. Angefangen von steigenden Energiepreisen über zunehmende Transport- und Logistikherausforderungen, die angespannten globalen Lieferketten sowie die schwierigen Marktbedingungen unserer Endkunden bis hin zur Zukunft der Energieversorgung.“ Insbesondere die Lieferkettenproblematik, da ist er sich mit Acker einig, stelle für KHS eine große Herausforderung dar, da sich die Fertigstellung von Getränkeabfüllanlagen teilweise aufgrund fehlender Komponenten verzögere. Man arbeite allerdings mit Hochdruck daran, Alternativen und Lösungen für diese Engpässe zu finden, sodass die Kunden weiterhin zuverlässig beliefert werden könnten.
„Innerhalb kürzester Zeit ist eine komplette Neuordnung unserer deutschen und europäischen Energiepolitik erforderlich“, sagt Groebler. „Neben der positiven Auswirkung, dass die Situation dafür sorgt, dass die Energiewende Fahrt aufnimmt, sehen auch wir als Salzgitter darin eine konkrete Chance. Mit unseren Stahlrohren unterstützen wir den Bau von LNG-Leitungen und leisten einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Energiesituation. Und der in Deutschland nun angestrebte schnellere Ausbau von grüner Energie und Wasserstoffkapazitäten unterstützt unser Programm SALCOS Salzgitter Low CO2 Steelmaking.
Immerhin muss sich Acker im Vergleich zu seinen Kollegen aus dem Stahlbereich etwas weniger Sorgen um steigende Energiekosten oder gar einen kurzfristigen Lieferstopp bei fossilen Brennstoffen machen. Schließlich ist der Technologiebereich bei Salzgitter nicht so energieintensiv, und der Umstieg auf Erneuerbare kann relativ einfach erfolgen beziehungsweise ist es in Teilen bereits.