In der Theorie klingt der Ansatz ganz einfach: Man suche sich ein Protein, das Krebszellen zum Überleben zwingend benötigen, und entwickle einen Wirkstoff, der die Zerstörung dieses Proteins in die Wege leitet – fertig ist das perfekte Krebsmedikament.
Dass dieser Ansatz im Prinzip funktioniert, hat ein Forschungsteam der Universität Würzburg bereits bewiesen. Weil die Umsetzung in die Praxis jedoch nicht ganz so einfach ist, wie es sich anhört, und weil dies dazu den Rahmen eines typischen Forschungsprojekts in einem Universitätslabor sprengen würde, haben die Beteiligten jetzt eine Unternehmensgründung in Angriff genommen. Im Rahmen der GO-Bio initial-Fördermaßnahme unterstützt sie das Bundesforschungsministeriums auf diesem Weg mit rund 500.000 Euro.
Klinischer Misserfolg nach positiven Ergebnissen im Labor
„Wir konzentrieren uns auf das sogenannte Aurora‑A Protein – eine Proteinkinase und ein vielversprechender Angriffspunkte in der zielgerichteten Krebstherapie“, erklärt Elmar Wolf, Professur für Tumorsystembiologie am Lehrstuhl für Biochemie und Molekularbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Frühere Studien haben gezeigt, dass in vielen Tumoren Aurora quasi den Startschuss für eine Krebserkrankung gibt und damit einer der Hauptverantwortlichen für die Entwicklung von Leukämien und vielen Kindertumoren wie beispielsweise Neuroblastomen ist.
Kein Wunder, dass weltweit intensiv nach einem Stoff gesucht wird, der Aurora ausschalten und die Krebszellen an ihrer ungebremsten Vermehrung hindern kann. Der Erfolg dabei hielt sich bislang jedoch in Grenzen:
„Fast alle großen Pharmafirmen haben sogenannte Kinase-Inhibitoren für Aurora‑A entwickelt. Fast alle klinischen Studien mit diesen Inhibitoren waren nicht erfolgreich.“
— Elmar Wolf
Kleine Moleküle führen den Krebsauslöser zum Schredder
Elmar Wolf ist davon überzeugt, den Grund für dieses Scheitern zu kennen: „Wir und andere konnten zeigen, dass Aurora‑A in Krebszellen wichtige Kinase-unabhängige Funktionen hat, die sich durch diese Inhibitoren nicht hemmen lassen“, sagt er. Wer Aurora‑A stoppen will, muss also nicht nur dessen Kinase-Funktion blockieren, sondern das Protein komplett zum Verschwinden bringen. Den entsprechenden Wirkstoff soll im Rahmen der Go-Bio initial-Fördermaßnahme und dem zu gründenden Unternehmen entwickelt werden.
Die Wissenschaftler setzen dafür auf sogenannte PROTACs (proteolysis targeting chimeras). Bei ihnen handelt es sich um kleine Moleküle, die an Zielproteine binden und diese der zellulären Abbaumaschinerie – einer Art „Schredder“ im Zellinneren – zuführen. Für Aurora‑A haben Wolf und sein Kollaborationspartner, Professor Stefan Knapp von der Goethe-Universität Frankfurt, das entsprechende Molekül vor ein paar Jahren entwickelt. JB170 – so dessen wissenschaftlicher Name – ist eines der ersten Moleküle der PROTAC-Substanzklasse, das in Deutschland hergestellt wurde. Mit zahlreichen weiteren PROTAC-Molekülen in der Entwicklung gehören die Teams aus Würzburg und Frankfurt zu Europas führenden akademischen Arbeitsgruppen auf diesem Feld.
Machbarkeitsstudien stehen am Anfang
„Die bisherigen Ergebnisse mit JB170 als neuer therapeutischer Strategie sind sehr vielversprechend und interessant“, sagt Wolf. Auf dem Weg zur Kommerzialisierung seien jedoch noch entscheidende Experimente zu machen, die eine Machbarkeit eindeutig belegen. Dank der Go-Bio Initial-Förderung sei dies jetzt möglich.
Zwei Jahre wird diese Machbarkeitsphase vermutlich dauern; ein marktreifes Produkt wird dann allerdings noch nicht in den Apothekenregalen liegen. „Nach Ende der Machbarkeitsphase im Jahr 2023 planen wir etwa drei Jahre für weitere Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit und für die Optimierung des Herstellungsprozesses und der Formulierung“, sagt Wolf. 2026 könne dann mit klinischen Studien und dem Zulassungsverfahren begonnen werden. Mit dem Markteintritt sei im Erfolgsfall zwischen 2030 und 2032 zu rechnen.
Falls es tatsächlich gelingt, JB170 zu einem Medikament weiterzuentwickeln, geht Wolf von einer breiten Einsetzbarkeit aus. „Wir haben die Wirkung von JB170 bislang mit großem Erfolg in Leukämie- und Lungenkarzinomzellen nachweisen können. Darüber hinaus legen etliche Studien anderer Arbeitsgruppen nahe, dass Tumoren des Darms, der Brust und der Leber ebenfalls stark von der Funktion des Aurora‑A Proteins abhängen“, sagt Wolf.
Unterstützung vom Servicezentrum Forschung und Technologietransfer
Große Unterstützung erfährt das Team auf seinem Weg zur Ausgründung auch vom Servicezentrum Forschung und Technologietransfer (SFT) der Universität Würzburg. „Dort hatten wir mit Frau Dr. Iris Zwirner-Baier eine höchst kompetente Ansprechpartnerin bei allen Fragen rund um die Sicherung der Patentrechte an JB170 und Wege in die Gründung“, sagt Elmar Wolf. Durch die intensive Unterstützung habe sie maßgeblich zur erfolgreichen Einwerbung der Go-Bio-Förderung beigetragen.