Die Aktivität unserer Gene wird von den Proteinen “Transkriptionsfaktoren” gesteuert. Diese Proteine können daher bei fehlerhafter Funktion zu Krankheiten, zum Beispiel zur Entstehung von Krebs, führen. Eines dieser Proteine namens „MYB“ spielt bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) und möglicherweise anderen Leukämien eine bedeutende Rolle. AML ist eine der häufigsten Leukämien mit einer schlechten Prognose, besonders bei älteren Patienten. Ein Forschungsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat nun im Rahmen eines von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Forschungsprojektes neue Erkenntnisse zum MYB-Protein und dessen Hemmung als möglichem therapeutischem Ansatzpunkt gewonnen.
Das Verständnis der Ursachen von Krebserkrankungen ist in den letzten Jahren dramatisch gewachsen. Neue, für die Entstehung von Tumoren verantwortliche Gene und Proteine wurden identifiziert und biologische Zusammenhänge charakterisiert. Die Transformation dieser Erkenntnisse in praktische Therapien zur Behandlung dieser Erkrankungen ist jedoch oft ein langwieriger Prozess.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Karl-Heinz Klempnauer am Institut für Biochemie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem MYB-Protein. Klempnauer war bereits 1984 als Postdoktorand im Labor des Nobelpreisträgers Michael Bishop an der University of California in San Francisco (UCSF), USA, auf dieses Protein gestoßen und hat seitdem viele Aspekte seiner Funktion untersucht. Unter anderem haben er und sein Forschungsteam einen Zusammenhang zwischen akuter myeloischer Leukämie (AML) und einer Überaktivität des Transkriptionsfaktors MYB entdeckt und daher die Hemmung des MYB-Proteins als mögliche therapeutische Strategie für AML in den Blick genommen.
So gelang es den Wissenschaftlern* um Karl-Heinz Klempnauer bereits vor einiger Zeit erstmals zu zeigen, dass bestimmte niedermolekulare Substanzen in der Lage sind, die Aktivität von MYB zu hemmen, indem sie dessen Zusammenspiel mit einem sogenannten Ko-Aktivator behindern. Ko-Aktivatoren sind Proteine, die die regulatorische Wirkung von Transkriptionsfaktoren auf ihre Zielgene verstärken. Die Hemmung des Zusammenspiels zwischen MYB und dessen Ko-Aktivator führt dazu, dass die Vermehrung von AML-Zellen blockiert wird. Die Arbeitsgruppe konnte somit erstmals nachweisen, dass die Hemmung der MYB-Aktivität durch einen Inhibitor die Vermehrung von AML-Zellen blockiert. In einem Mausmodell der AML führte dies zu einem deutlich längeren Überleben der Tiere nach Applikation eines solchen Hemmstoffs, verglichen mit den Tieren der unbehandelten Kontrollgruppe.
Ziel des Forschungsteams war es nun, im Rahmen des von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projektes weitere und effektivere MYB-Inhibitoren zu identifizieren. Zum einen konnten Klempnauer und Kollegen zeigen, dass sogenannte Histon-Deacetylase (HDAC)-Inhibitoren, chemische Verbindungen die bereits für die Therapie bestimmter Krebsarten eingesetzt werden, auch sehr wirksame MYB-Inhibitoren sind [1]. HDAC sind Enzyme, die u. a. Histone – dies sind wichtige Proteine, die für die „Verpackung“ der DNA im Zellkern zuständig sind – chemisch verändern. Sie regeln damit direkt die Genexpression, d. h. die Transkription von genetischer Information und sind auch an weiteren Prozessen, wie der Kontrolle des Zellzyklus und der Entwicklung des Organismus, beteiligt.
Zum anderen hat die Arbeitsgruppe zusammen mit Kooperationspartnern eine weitere bisher unbekannte Verbindung gefunden, die ähnlich effektiv wie die HDAC-Inhibitoren, die Aktivität des MYB-Proteins hemmt. Das Besondere bei dieser als „Bcr-TMP“ bezeichneten Verbindung ist, dass sie zusätzlich auch die Funktion der sogenannten Mikrotubuli hemmt. Mikrotubuli bilden ein Netzwerk von dynamisch auf- und abbaubaren, dünnen, fadenförmigen Zellstrukturen (Proteinfilamenten) innerhalb der Zelle, welches unter anderem für die Zellteilung benötigt wird. Inhibitoren, die dieses Netzwerk zerstören, sind schon länger bekannt und werden aufgrund ihrer Fähigkeit, die Zellteilung und damit die Vermehrung von Zellen zu hemmen, bereits seit vielen Jahren in der Krebstherapie eingesetzt. Das Besondere dieses neuen Inhibitors ist – so vermuten Klempnauer und Kollegen –, dass er in AML-Zellen gleichzeitig zwei unterschiedliche, für die Vermehrung der Zellen wichtige Prozesse attackiert: zum einen die Regulation von Genen durch den Transkriptionsfaktor MYB und zum anderen den Prozess der Zellteilung [2].
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