Forschende der Universität Oldenburg analysieren Daten des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Dabei haben sie festgestellt, dass höhere Temperaturen die Ursache für kleinere Zellen sein könnten.
Das Zellvolumen von Mikroalgen im niedersächsischen Wattenmeer hat sich zwischen 2006 und 2019 um 30 Prozent verringert. Insbesondere Kieselalgen, so genannte Diatomeen, waren von dieser Schrumpfung betroffen. Das berichtet ein Team um den Biodiversitätsexperten Prof. Dr. Helmut Hillebrand vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg in der Fachzeitschrift Limnology and Oceanography. Der langjährige Trend könnte dem Team zufolge auf steigende Temperaturen und einen sinkenden Gehalt des Nährstoffs Phosphor in der Nordsee zurückgehen. Die abnehmende Zellgröße der einzelligen Algen könne ein Indikator für Veränderungen in der Lebensgemeinschaft insgesamt sein, so die Forschenden.
Phytoplankton – die extrem vielfältige Gruppe einzelliger Algen, die die lichtdurchfluteten obersten Schichten von Meeren, Seen und Flüssen bevölkern – fixiert pro Jahr ungefähr genauso viel Kohlendioxid wie Landpflanzen und setzt daher die Hälfte allen durch Photosynthese produzierten Sauerstoffs auf der Erde frei. Es spielt daher eine fundamentale Rolle in den Ökosystemen aller Gewässer.
„Die Vielfalt dieser Organismen ist bemerkenswert, sie spiegelt sich beispielsweise im extremen Größenunterschied zwischen den kleinsten und größten Algenzellen wider.“
— Prof. Dr. Helmut Hillebrand, Direktor des Helmholtz Instituts
Die Größe der Planktonzellen ist dabei einerseits charakteristisch für jede Art. Andererseits hängt das Zellvolumen auch mit den Umweltbedingungen zusammen. „Bislang haben wir allerdings nur wenige Datensätze dazu, wie sich die Zellgrößen einzelner Arten, aber auch ganzer Lebensgemeinschaften, über längere Zeiträume verändern“, sagt Ko-Autorin Dr. Lena Rönn vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).
Um herauszufinden, ob sich die Größe der Einzeller überhaupt verändert, wie sich verschiedene Arten entwickeln und ob es einen Zusammenhang mit veränderten Umweltbedingungen gibt, werteten Hillebrand und seine Kolleginnen und Kollegen Daten von mehr als 1.700 Proben aus. Der NLWKN hatte diese Proben zwischen 2006 und 2019 an 20 verschiedenen Stellen im niedersächsischen Wattenmeer gewonnen und ausgezählt. Das Team betrachtete dabei nicht – wie die meisten bisherigen Studien – lediglich die durchschnittliche Größe aller Zellen innerhalb einer Probe, sondern analysierte die Entwicklung jeder Art einzeln. Das erlaubte es dem Team um Hillebrand zu untersuchen, ob sich ein zeitlicher Trend eher auf eine Verdrängung bestimmter Arten oder auf eine Anpassung der einzelnen Arten an veränderte Umweltbedingungen zurückführen lässt.
Die Analyse zeigte, dass sich über den beobachteten Zeitraum von 14 Jahren die durchschnittliche Zellgröße insgesamt um rund ein Drittel verringerte. Dabei schrumpften sowohl die Individuen der einzelnen Arten als auch das Zellvolumen innerhalb der Gemeinschaft als Ganzes. „Wir konnten die Verkleinerung der Zellgröße bei 63 von 73 untersuchten Arten nachweisen, besonders betroffen waren einzellige Algen mit einem Panzer aus Kieselsäure, die sogenannten Diatomeen“, sagt Rönn. Die Forschenden beobachteten zudem jahreszeitliche Schwankungen: Im Sommer war das durchschnittliche Volumen der Zellen deutlich kleiner als im Winter.
Den Analysen der Forschenden um Hillebrand zufolge lässt sich die Größenreduktion wahrscheinlich durch gestiegene Temperaturen und geringere Nährstoffverfügbarkeiten erklären. Wie das Team schreibt, bilden viele Organismen bei höheren Temperaturen kleinere Individuen aus als unter kühlen Bedingungen. „Wenn man tropische, gemäßigte und polare Lebensräume vergleicht, lassen sich dafür viele Beispiele finden“, sagt Hillebrand. Auch für Phytoplankton war dieser Zusammenhang bekannt. In tropischen Meeren wird der Trend durch geringere Nährstoffmengen noch verstärkt.
Die Forschenden erwarten, dass sich die Verkleinerung der Algen auch auf andere Organismen im Lebensraum Wattenmeer auswirkt, vor allem auf solche, die sich von ihnen ernähren, darunter tierisches Plankton und Muscheln. Die Studie zeige zudem, wie wichtig es ist, Zeitserien für die ökologische Forschung aufrecht zu erhalten und nachhaltig zu betreuen, so Hillebrand. Nur weil das Team die Zellgröße der Algenarten in jeder Probe neu bestimmte, konnten die Forschenden deren Schrumpfung überhaupt ermitteln. Das Ergebnis ermöglicht es auch, den im Plankton enthaltenen Kohlenstoff genauer zu berechnen, eine wichtige Eingangsgröße für Modelle der Umwelt- und Klimafolgenforschung.