Aufgrund des globalen Klimawandels werden die Seen auf der ganzen Welt wärmer und frieren an weniger Tagen im Jahr zu. Ein internationales Forschungsteam mit Georgiy Kirillin vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) konnte kürzlich belegen, dass die Veränderungen ohne steigende Treibhausgasemissionen nicht eingetreten wären. IGB-Forscherin Stella Berger hat mit einem internationalen Team das Konzept des See-Eis-Kontinuums entwickelt, das beschreibt, wie unterschiedliche Eisbedeckung von Seen sich auf grundlegende Ökosystemprozesse oder die Struktur des Nahrungsnetzes auswirken kann.
Weltweit gibt es etwa 100 Millionen Seen, von denen die meisten oberhalb des 45. Nördlichen Breitengrades liegen und in der Regel im Winter zufrieren. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Seen weltweit erwärmt, und die Ausdehnung und Dicke des Eises auf saisonal zugefrorenen Seen hat abgenommen. Die Rolle des Klimawandels bei diesen Trends war bislang jedoch nicht wissenschaftlich belegt.
Klimawandel und nicht Klimaschwankungen verantwortlich:
Ein Forschungsteam mit dem IGB-Seenphysiker Dr. Georgiy Kirillin hat kürzlich gezeigt, dass diese globalen Veränderungen der Seetemperaturen und der Eisbedeckung nicht auf natürliche Klimaschwankungen zurückzuführen sind. Sie können nur durch die massiven Treibhausgasemissionen seit der industriellen Revolution erklärt werden. Um dies zu beweisen, hat das Forschungsteam Beobachtungen von Seetemperatur und Eisbedeckung zusammengestellt. Sie verglichen diese Daten mit den Ergebnissen ihrer Simulationen durch globale Seen- und Klimamodelle. Die Forschenden fanden Übereinstimmungen zwischen den beobachteten Veränderungen in Seen und den Modellsimulationen von Seen in einem durch Treibhausgasemissionen beeinflussten Klima. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Die mit mathematischen Modellen berechneten Zukunftsszenarien deuten darauf hin, dass die Temperaturen in den Seen weiter ansteigen werden, wenn die Emissionen weiter zunehmen, und zwar in ähnlichem Maße wie die durchschnittliche globale Lufttemperatur, und dass die Eisdicke und ‑dauer entsprechend abnehmen werden.
1 Grad Lufterwärmung – fast 10 Tage weniger Eisbedeckung
„Laut Modellszenarien werden sich die Seen mit jedem Anstieg der Lufttemperatur um 1° Celsius schätzungsweise um 0,9 °C erwärmen und 9,7 Tage an Eisbedeckung verlieren“, sagt Georgiy Kirillin. Das Team prognostizierte auch die künftige Entwicklung unter verschiedenen Erwärmungsszenarien. In einem emissionsarmen Szenario wird sich die durchschnittliche Erwärmung der Seen in der Zukunft voraussichtlich bei +1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau stabilisieren und die Dauer der Eisbedeckung um 14 Tage kürzer sein. In einer Welt mit hohen Emissionen könnten diese Veränderungen zu einem Anstieg von +4,0 °C und 46 weniger Eistagen führen. „Das bedeutet, dass sich Seen im Winter deutlich verändern werden“, ergänzt Georgiy Kirillin.
Eisdecke wichtig für saisonale Prozesse im See
Obwohl der Winter gemeinhin als eine Zeit relativer Ruhe gilt, sind die Ökosystemfunktionen in dieser Jahreszeit oft dynamisch. Darüber hinaus gibt es zunehmend Belege dafür, dass die Bedingungen im Winter die Voraussetzungen für die Bedingungen im Sommer schaffen und umgekehrt, und dass Seen über ein komplettes saisonales Kontinuum hinweg betrachtet werden müssen.
Die Eisbedeckung verändert einen See grundlegend, indem sie diesen von der umgebenden Landschaft und Atmosphäre isoliert. Die Dicke und die optischen Eigenschaften von Eis und Schnee regulieren die Menge der Sonnenstrahlung, die in den See eindringt, und schirmen ihn gleichzeitig vor Wind ab. Folglich ist die Eisbedeckung ein wichtiger Faktor, der die Durchmischung des Wassers in Seen reguliert und vertikale thermische und chemische Gradienten strukturiert. Das ist beispielsweise für die Sauerstoffverfügbarkeit in der Wassersäule von Bedeutung. Organismen, von Bakterien bis hin zu Fischen, haben sich an die winterliche Umgebung angepasst. IGB-Forscherin Dr. Stella Berger hat untersucht, wie sich Schwankungen in der Eisbedeckung von Seen auf grundlegende Ökosystemprozesse oder die Struktur des Nahrungsnetzes auswirken.
Das See-Eis-Kontinuum: Welche chemischen und physikalischen Prozesse wirken an der Eisgrenze zwischen Umwelt und See
„Wir wissen, dass die Eisbedeckungen von Seen abnehmen werden, aber uns fehlte bislang ein konzeptioneller Rahmen, um die Auswirkungen solcher Veränderungen auf die Struktur und Funktion von Ökosystemen zu verstehen und vorherzusagen“, erläutert Stella Berger.
Das internationale Forschungsteam kombinierte den wissenschaftlichen Kenntnisstand mit drei Fallstudien und entwickelten das Konzept des See-Eis-Kontinuums: Dieses bildet den Rahmen für das Verständnis, wie sich die Bedingungen entlang eines Kontinuums von Energieflüssen, die durch das Winterklima vermittelt werden und den Bedingungen, die durch Eis und Schnee vermittelt werden, in einem See verändern. Wie sich der See unter der Eisdecke verhält, hängt auch beispielsweise davon ab, ob das Eis klar oder schneebedeckt ist. Ohne winterliche Eisbedeckung gelangen mehr Energie in Form von Wärme und Wind und auch mehr Stoffe aus der Atmosphäre und der umgebenden Landschaft in den See. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift JGR Biogeoscience veröffentlicht.
Veränderungen der Biologie: Der Winter macht den Sommer – und umgekehrt
„Die Zufuhr, Akkumulation und Umsetzung von Nährstoffen und Kohlenstoff im Winter wird die Voraussetzungen für die Primärproduzenten im Frühjahr schaffen. Der Winter entscheidet also über die Nahrung für Organismen, die aus anorganischen Stoffen über Fotosynthese oder Chemosynthese organische Substanzen produzieren. Sie sind die Basis des Nahrungsnetzes in Gewässern.“
— Stella Berger
So waren beispielsweise hohe Chlorophyll-a-Konzentrationen im Winter mit niedrigen Chlorophyll-a-Konzentrationen im darauffolgenden Sommer gekoppelt, was möglicherweise auf die Verringerung des Nährstoffpools infolge der höheren Winterproduktivität zurückzuführen ist. „Wenn also aufgrund von geringer Eisbedeckung die Stoffwechselsaktivitäten im See im Winter so richtig angekurbelt werden, kann das die Nahrungsmenge für Lebewesen im Sommer verringern“, ergänzt Stella Berger.
Stella Berger erwähnt ein weiteres Beispiel für die ökologischen Auswirkungen einer fehlenden Eisbedeckung: „In einem See ohne Eis erwärmt sich das Wasser im Frühjahr schneller was die Entwicklung von wärmeliebenden Blaualgen zur Folge haben kann. Dadurch kann sich die Wasserqualität verschlechtern.“
Veränderung der Artenzusammensetzung
Auf allen Ebenen des Nahrungsnetzes wird es „Gewinner” und „Verlierer” geben, da die jährlichen Muster der Biodiversität zum Teil durch spezialisierte Nischen aufrechterhalten werden, die durch die Kontraste zwischen Winter und Sommer entstehen. Der Verlust von Winterhabitaten wird die Vielfalt und Abundanz von kälteliebenden Organismen verringern. Dieses Phänomen ist bereits bei Fischen zu beobachten, sodass zu erwarten ist, dass größere Veränderungen der Winterdauer die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften während des gesamten Jahres verändern werden, was zu ökologischen Kaskadeneffekten führen wird.